Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ein Leben ohne Armut oder nur eine weitere Konferenz?

14. Südasien-Gipfel mit anspruchsvollen Zielen

Zum 14. Gipfel der Südasiatischen Assoziation für Regionalzusammenarbeit (SAARC) dokumentieren wir drei Artikel von Hilmar König.



Aus "Plauderrunde" soll aktives Bündnis werden

Gipfel der Südasiatischen Vereinigung für regionale Entwicklung in Delhi / Zunehmendes Interesse an südasiatischer Regionalvereinigung

Von Hilmar König, Delhi *

Die Themenpalette des zweitätigen SAARC-Gipfels in Delhi reicht vom Ausbau der Wirtschaftskooperation bis zur Bekämpfung des Terrorismus.

Die 14. Konferenz der Staats- und Regierungschefs der größten Regionalorganisation von Entwicklungsländern, der Südasiatischen Assoziation für Regionalzusammenarbeit (SAARC), beginnt am heutigen Dienstag (3. April) in Indiens Hauptstadt. Acht Länder gehören der Gruppierung an. Auch wenn die SAARC in den 22 Jahren ihres Bestehens keine Bäume ausgerissen hat, ist sie, gemessen an der Bevölkerungszahl von 1,47 Milliarden Menschen (22 Prozent der Weltbevölkerung) doch die größte Organisation des Südens.

Das internationale Interesse an dieser Region ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten ständig gewachsen, nicht allein wegen des verlockenden Marktpotenzials und weil mit Indien und Pakistan zwei SAARC-Staaten Atommächte sind. Erstmals nehmen an dem Gipfel in Delhi die VR China, Japan, Südkorea, die EU und die USA als Beobachter teil. Über Irans im März gestellten Antrag auf Beobachterstatus werden die Staats- und Regierungschefs nun beraten.

Afghanistan nimmt erstmals als Vollmitglied der SAARC an einem Gipfel teil. Das indische Außenministerium erklärte dazu vorab: »Afghanistans Aufnahme ist angesichts der historischen und kulturellen Bindungen an Südasien eine natürliche Entwicklung. Es komplettiert Südasiens regionale Identität. Indien betrachtet Afghanistan als ein geschätztes Mitglied der SAARC-Bruderschaft und als Tor der Region zu Mittelasien und darüber hinaus.« Der afghanische Präsident Hamid Karsai und die anderen Teilnehmer werden zu Beginn der Eröffnungssitzung ihre Unterschriften unter das Beitrittsdokument setzen. Im Vorfeld des Gipfels war aus verschiedenen Mitgliedstaaten zu hören, es sei an der Zeit, »vom Geplauder zur Verwirklichung der Vorhaben« zu kommen. Das politische Klima sei jetzt dafür bestens geeignet, da sich mit dem Friedensdialog zwischen Indien und Pakistan die Situation spürbar entspannt hat. Die Aufgaben sind dabei enorm. In Südasien lebt über die Hälfte der Armen der Welt. Unter der Armutsgrenze leben Menschen auf den Malediven (21 Prozent der Bevölkerung) bis Afghanistan (53 Prozent). Es ist einerseits die am wenigsten integrierte, andererseits eine der konfliktgeladensten Regionen (Sri Lanka, Kaschmir, Afghanistan, Pakistan, Indiens Nordosten) der Welt. Fast sechs Millionen Menschen in Südasien sind mit HIV/Aids infiziert, 90 Prozent davon in Indien.

AIs Schwachstelle in der Kooperation gelten mangelhafte Kommunikation, unzureichende Infrastruktur in und zwischen den Mitgliedstaaten und zu geringe ökonomische Integration. 90 Prozent der Importe der Mitgliedstaaten kommen von außerhalb der SAARC-Region. Das Volumen des Handels zwischen den SAARC-Staaten erreichte im Jahre 2005 magere sieben Milliarden Dollar, während ihr gesamtes internationales Handelsvolumen 350 Milliarden Dollar betrug. Zu den Vorhaben gehören ein SAARC-Entwicklungsfonds, der auch zur Armutsbekämpfung dienen soll, eine Südasien-Universität sowie eine regionale Nahrungsmittereserve (Food Bank). Im Oktober 2006 wurde das SAARC-Zentrum für Desastermanagement in Delhi eingerichtet.

Auf dem 14. Gipfel werden die Teilnehmer über eine Intensivierung der Zusammenarbeit auf den Gebieten Agrarwirtschaft und Entwicklung ländlicher Gebiete, Gesundheit und Familienplanung, Entwicklung menschlicher Ressourcen, Umweltschutz und Forst, Wissenschaft, Technik und Meteorologie, Frauen, Kinder und Jugend sowie gemeinsame Maßnahmen im Kampf gegen terroristische Aktivitäten beraten.

Hintergrund: SAARC - Südasiatische Vereinigung für regionale Zusammenarbeit

Die Südasiatische Vereinigung für regionale Zusammenarbeit (South Asian Association for Regional Cooperation, SAARC) wurde im Dezember 1985 von Bangladesch, Bhutan, Indien, den Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka ins Leben gerufen. Vorausgegangen war der Gründung 1981 ein Treffen der Außenminister der sieben Staaten, das auf Initiative des Präsidenten von Bangladesch, Zia-ur-Rahman, zu Stande gekommen war. Dieser verfolgte damit das Ziel, die angespannten zwischenstaatlichen Beziehungen in Südasien zu verbessern. Doch schon damals verständigte man sich darauf, bilaterale Probleme wie den Kaschmir-Konflikt sowie strittige politische Fragen bei den Gesprächen auszuklammern.

Entsprechend legt SAARC den Schwerpunkt auf Wirtschafts- und Handelsfragen, wobei das im Januar 2006 in Kraft getretene Abkommen zur Schaffung einer südasiatischen Freihandelszone (SAFTA) einer der wenigen konkreten Schritte hin zu einer verstärkten wirtschaftlichen Zusammenarbeit ist. So beträgt der Handel zwischen den SAARC-Staaten bislang lediglich fünf Prozent ihres gesamten Außenhandels.

SAARC verfügt über ein Sekretariat mit Sitz in Katmandu (Nepal). Es wird von einem politisch wenig einflussreichen Generalsekretär geleitet, der alle drei Jahre vom SAARC-Ministerrat gewählt wird. Treffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten finden in der Regel im Abstand von einem bis zwei Jahren statt. Die Außenminister treffen sich mindestens zweimal jährlich. Auf dem 13. SAARC-Gipfel (2005) wurde die Aufnahme Afghanistans als achtes Mitglied sowie die Zuerkennung eines Beobachterstatus für China und Japan beschlossen. Am heute in Delhi beginnenden 14. Gipfeltreffen nehmen zudem Südkorea, die USA sowie die EU als Beobachter teil.
S.M.



* Aus: Neues Deutschland, 3. April 2007


Leben ohne Armut

14. Südasien-Gipfel mit anspruchsvollen Zielen. Bisheriger Fortschritt als zu gering eingeschätzt

Von Hilmar König, Neu-Delhi **



Das Gruppenfoto der acht Staats- und Regierungschefs Südasiens zur Eröffnung ihrer 14. Konferenz am Dienstag in Neu-Delhi suggerierte Einigkeit und Einmütigkeit. Die lachenden, entspannten Politiker aus Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka wollten verständlicherweise den Eindruck vermitteln, zwischen den Mitgliedern der Südasiatischen Assoziation für regionale Zusammenarbeit (SAARC) gebe es keine ernsten Probleme. Die Realität sieht allerdings anders aus.

Zwischen Afghanistan, das seinen Einstand als neues SAARC-Mitglied gab, und Pakistan knistert es wegen der im Grenzgebiet operierenden Taliban. Kabul glaubt, Islamabad gewähre Kommandos der Taliban und Al Qaida nach wie vor Unterschlupf. Zwischen Pakistan und Indien bleibt das Kaschmirproblem ungelöst, auch wenn sich das bilaterale Verhältnis in den zurückliegenden drei Jahren sichtlich entkrampfte. An der anderen Flanke verdächtigt Indien Bangladesch, assamesischen und anderen im Nordosten operierenden Rebellen Rückzugsgebiete zur Verfügung zu stellen. Und Colombo wünscht sich im Kampf gegen die tamilischen Befreiungstiger eine aktive Assistenz Neu-Delhis.

Diese und eine Reihe anderer bilateraler Probleme, so äußerte Indiens Premier Manmohan Singh bei der Eröffnungssitzung, hätten in der Vergangenheit den Prozeß der Integration und Entwicklung Südasiens behindert. Doch nun ändere sich die Lage, weil man die Probleme anpacke. Die Region befinde sich »mitten in einer beispiellosen politischen und wirtschaftlichen Transformation«. Man müsse die Chance nutzen, um Wohlfahrt für die Masse der Bevölkerung zu fördern sowie Wirtschaftswachstum und sozialen Fortschritt zu beschleunigen. Zugleich finde der Subkontinent international immer mehr Aufmerksamkeit. Das widerspiegele die erstmalige Anwesenheit der VR China, Japans, Südkoreas, der USA und der EU als Beobachter auf einem Südasien-Gipfel.

Der bisherige Fortschritt in der Region ist nach Einschätzung des pakistanischen Premiers Shaukat Aziz, gemessen an den Erwartungen, zu gering. Tatsächlich gehört die Region, trotz des spektakulären indischen Wirtschaftswachstums, noch immer zu den rückständigsten und obendrein konfliktgeladensten in der Welt. Hier hat über die Hälfte der Armen der Erde ihr Zuhause. Allein in Afghanistan leben 53 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze. Die durchschnittliche Lebenserwartung beträgt 43 Jahre. In Nepal liegt die Arbeitslosenrate bei 42 Prozent. Im Durchschnitt können nur 30 Prozent der 1,4 Milliarden Bewohner des Subkontinents lesen und schreiben. Fast sechs Millionen von ihnen sind mit HIV infiziert, 90 Prozent davon in Indien.

Deshalb forderte Aziz, jetzt endlich den Traum der Gründungsväter der SAARC zu verwirklichen – ein Leben in Frieden, ohne Hunger, Elend und Armut. Dafür seien »konkrete Aktionen« erforderlich. Die Organisation brauche eine »Roadmap« – einen Wegweiser oder Fahrplan – zur Entwicklung. Dazu sollten gehören, ein Klima für wirklichen Frieden und für Sicherheit zu schaffen, gegenseitiges Vertrauen zu stärken, die Prinzipien der friedlichen Koexistenz wiederzubeleben, mehr Wert auf Erfahrungsaustausch sowie auf Handel und wirtschaftliche Zusammenarbeit zu legen. »Wir werden an unseren Taten gemessen und nicht an unseren Worten«, betonte Aziz. Genau das war auch der Tenor aller acht Redner am ersten Beratungstag. Mit Spannung warten die Beobachter, ob am zweiten Tag konkrete Entscheidungen getroffen werden – als Signal, daß der Phase der Rhetorik nun die des Handelns folgt.

** Aus: junge Welt, 4. April 2007


Großprojekte in Südasien

SAARC-Gipfel beendet

Der in der indischen Hauptstadt beendete 14. Südasien-Gipfel hat versucht, die Kluft zwischen Erklärungen und Taten zu verringern.

Das Treffen der Staats- und Regierungschefs von Afghanistan, Bangladesch, Bhutan, Indien, Malediven, Nepal, Pakistan und Sri Lanka endete nicht mit sensationellen Resultaten. Aber immerhin bemühten sich die Politiker, ihrer in den Beratungen verkündeten Absicht, von der »Phase der Deklarationen zu der der Verwirklichung von Plänen« zu kommen, die Tat folgen zu lassen. Erstmals beschloss man einen Zeitrahmen für ein Vorhaben: Innerhalb vom sechs Monaten soll »greifbarer Fortschritt« in vier Problemfeldern erzielt werden, mit denen sich Millionen Menschen auf dem Subkontinent täglich herumschlagen. Das sind Wasser, Energie, Nahrung und Umwelt. Mit Hilfe internationaler Agenturen sollen grenzübergreifende, regionale Projekte etabliert werden.

Zu den Entscheidungen gehört weiterhin, in Indien eine Südasien-Universität zu eröffnen und wahrscheinlich in Bangladesch ein Zentrum für eine südasiatische Nahrungsmittelreserve (Food Bank) einzurichten. Dazu unterzeichneten die Mitglieder der Südasiatischen Assoziation für Regionalkooperation (SAARC) in Delhi Abkommen. Zudem soll der SAARC-Entwicklungsfonds, aus dem auch die Armutsbekämpfung schöpft, soll »so schnell wie möglich wirksam« werden.

In einer Deklaration werden mehrere Paragrafen dem Kampf gegen Terrorismus, Drogenschmuggel und organisiertem Verbrechen gewidmet. Alle Kanäle dafür, einschließlich finanzieller, will man mit gemeinsamen Maßnahmen austrocknen. Indien verkündete einige einseitige Entscheidungen, beispielsweise ab Ende des Jahres zollfreien Import von Waren aus den am wenigsten entwickelten Staaten der Region sowie Visaerleichterungen für Studenten aus SAARC-Ländern.

* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2007


Zurück zur Asien-Seite

Zurück zur Homepage