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Howards neoliberales Erbe

Zahl jugendlicher Obdachloser in Australien hat sich verdoppelt

Von Thomas Berger *

Die Jugend-Obdachlosigkeit in Australien hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Zu diesem Ergebnis kommt eine jetzt vorgestellte Studie, die für großes Aufsehen sorgt.

Auch nach seiner Wahlniederlage ist der konservative Ex-Premier John Howard stolz darauf, Australien ein solides Wirtschaftswachstum beschert zu haben. In der Folge war die offizielle Arbeitslosenquote zuletzt mit 4,6 Prozent auf ein Rekordtief gefallen. Howards Abwahl Ende vorigen Jahres zeigt jedoch, dass vielen Bürgern bewusst ist, diese diese Daten nicht die ganze Wahrheit verkörpern.

Eine aktuelle Studie der unabhängigen »National Youth Commission« zu Obdachlosigkeit unter Jugendlichen illustriert, welche Nebenwirkungen die mehr als ein Jahrzehnt umfassende konservative Ära der sozialdemokratischen Nachfolgeregierung als soziale Herausforderung hinterlassen hat. Danach hat sich die Zahl der jungen Leute, die keine dauerhafte Bleibe haben, seit Anfang der 90er Jahre verdoppelt. Fast die Hälfte der rund 100 000 Obdachlosen ist jünger als 25 Jahre, und Nacht für Nacht haben derzeit 36 000 Jugendliche kein Dach über dem Kopf, auch wenn nicht alle auf der Straße schlafen müssen.

Die letzte Zahl verdeutlicht, dass es sich nicht nur um kurzfristige Probleme handelt, wenn also beispielsweise ein 15-Jähriger nach einem Familienstreit für ein oder zwei Wochen bei einem Freund Unterschlupf findet. Es geht um ein strukturelles Problem, denn Tausende Heranwachsende sind teilweise schon seit Jahren ohne feste Bleibe. Dass sie im Alltag nicht unbedingt auffallen, macht die Notwendigkeit von Hilfsangeboten seitens Staat und Nichtregierungsorganisationen nicht kleiner. Vielen sieht man ihre schwierige Lage nicht an, sagt ein Sozialarbeiter. »Dass sie Zugang zu Bekleidung und anderem Notwendigen haben, bedeutet nicht, dass es sich nicht um ein großes gesellschaftliches Problem handelt«, so Dennis Ac von der »Queensland Youth Housing Coalition«.

In dem nordöstlichen Bundesstaat, aber auch in anderen Regionen und auf nationaler Ebene wird jetzt über die politischen Konsequenzen aus der Studie diskutiert. »Eine nationale Katastrophe« nannte Australiens neue Wohnungsbauministerin Tanya Plibersek die vorgelegten Zahlen. Labor- Premier Kevin Rudd und sie werden sich nun über geeignete Programme einen Kopf machen müssen, um einen Ausweg aus der über Jahre ignorierten Krise zu finden. Dabei geht es vordringlich um langfristige Maßnahmen wie ein ausreichendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum für die Betroffenen, aber auch um Sofortmaßnahmen wie eine verstärkte Förderung der mehr als 1200 landesweiten Anlaufstellen für Obdachlose, die in der Regel von privaten Hilfsorganisationen betrieben werden.

Obdachlosigkeit ist auch »down under« kein neues Phänomen. Neoliberale »Reformen« von Howard & Co. haben die Situation in der jüngeren Vergangenheit aber eskalieren lassen. So ist der Kündigungsschutz für Arbeitnehmer stark verringert worden, und beim Wohnungsbau liegt das Primat auf noblen Appartements für Besserverdienende. In manchen Gegenden sind die Mieten regelrecht explodiert. Die Kürzung von Sozialprogrammen hat die Gefahr von Wohnungslosigkeit gerade für bestimmte Gruppen wie alleinerziehende Mütter und Jugendliche noch verstärkt.

* Aus: Neues Deutschland, 14. April 2008


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