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"Giftige Seifenoper"

Rudd kontra Gillard – Machtkampf in Australiens Labor-Partei

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

In Australien ist ein erbitterter Machtkampf mit ausgerechnet den beiden Protagonisten entbrannt, die schon 2010 für einen spektakulären Zweikampf sorgten.

Mit einer Parteimeuterei hatte Australiens Regierungschefin Julia Gillard vor knapp zwei Jahren in einer Nacht-und-Nebel-Aktion ihren Amtsvorgänger Kevin Rudd gestürzt. Jetzt geriet Gillard unter ähnlichen Druck wie damals Rudd.

Medienberichten zufolge plante der Außenminister eine neuerliche Palastrevolte mit vertauschten Rollen, weil Gillards Minderheitsregierung in der Wählergunst auch schon besser dastand. Doch am Mittwoch, bei einem G20-Treffen in Mexiko, machte Rudd einen verblüffenden Rückzieher. Er könne »nicht länger als Außenminister dienen ohne das Vertrauen von Regierungschefin Gillard«, auf die er »nie im Leben einen heimlichen Angriff lancieren« würde. Rudd weiter: »Wir alle wissen, was damals geschah, war falsch und darf nie wieder geschehen.«

Beobachtern zufolge ist der Machtkampf jetzt erst recht entbrannt. Rudd werde sich »zur Wehr setzen«, titelte die Online- Ausgabe des »Sydney Morning Herald«. Seine Zukunftspläne, kündigte Rudd an, werde er nächste Woche nach Gesprächen mit Partei und Familie eröffnen. Rudd hatte stets versichert, nichts von einem geheimen Plot zu wissen. Dies, obschon aus Labor-Parteireihen verlautete, dass er einen dramatischen Coup plane, um Partei- und Landesführung zurückzuerobern.

Wie du mir, so ich dir, das folgerte unlängst auch der »Sydney Morning Herald«. Rudd-Getreue würden noch nächste Woche die Vertrauensfrage zur Parteiführung stellen, zumal ein Labor-Flügel befürchtet, unter Gillard bei im August 2013 fälligen Wahlen keine Chance zu haben.

Von allen Seiten folgten Dementis. Dass Rudd keinesfalls unumstritten ist, das beflügelte die allgemeine Verwirrung noch, der australische Zeitungen ganze Sonderseiten widmen. Doch die schmähliche Art und Weise, wie die ehrgeizige Gillard ihren damaligen Chef im Juni 2010 abserviert hatte, ist keinesfalls vergessen, obschon die Regierungschefin Wirtschaftswachstum und Erfolge im Parlament vorweisen kann.

Indem er sich jetzt als politischer Gentleman gibt, avanciert Rudd in den Augen vieler zum Mann der Stunde. Laut Umfrageagentur Nielsen wünschen 57 Prozent der Bevölkerung Rudd als Regierungschef, 35 Gillard. Oppositionsführer Tony Abbott, der lachende Dritte, hatte den Labor- Streit stets als »giftige Seifenoper« verurteilt. Die Regierung sei »hoffnungslos gespalten. Da ist nichts mehr zu retten.« Der frühere Labor- Chef und heutige Handelsminister Simon Crean forderte Gillard öffentlich auf, Rudd zur Rede zu stellen. Denn der soll den parteilosen Abgeordneten Andrew Wilkie um Unterstützung gebeten haben. Wilkie hatte Gillard im Januar seine Stimme entzogen, weshalb die Minderheitsregierung an einem seidenen Faden hängt. Doch auch Wilkie wollte nichts von Sabotage wissen. Rudd und er hätten »Allgemeines« besprochen.

Berichten zufolge wollte Gillard ihren Außenminister entweder feuern oder ihn zu einer Wahl um die Parteispitze herausfordern. Die werde sie »nicht nur gewinnen«, sagte ein Labor-Abgeordneter, »sondern verdammt klar gewinnen « und damit Rudds Mangel an Unterstützung bloßstellen.

Jetzt kam er ihr zuvor. »Die Zeit ist gekommen, Klartext zu sprechen «, erklärte Rudd. Der Einfluss von »Männern ohne Gesicht« in der Partei müsse ein Ende haben, was Beobachtern zufolge einer Kampfansage Rudds an Gillard um die Partei- und damit die Regierungsspitze gleichkommt.

Denn schließlich gehe es um die Frage, wer bei den kommenden Wahlen gegen Oppositionsführer Tony Abbott gewinnen kann. Der befindet sich auf Siegeskurs. Labor und die Opposition verfügen über je 72 Sitze im 150-köpfigen Unterhaus. Das Zünglein an der Waage sind die Grünen und die Unabhängigen.

* Aus: neues deutschland, 23. Februar 2012


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