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Auf halber Strecke

Machtkampf an der Spitze der Labor Party: Wer ist künftig Australiens Premier?

Von Thomas Berger *

Mit seinem Rücktritt am Mittwoch hat Australiens Außenminister Kevin Rudd für einen offenen Ausbruch des schon eine Weile schwelenden Machtkampfes in der regierenden Labor Party gesorgt. Premierministerin und Parteichefin Julia Gillard kündigte umgehend an, daß die sozialdemokratischen Abgeordneten am kommenden Montag darüber abstimmen werden, wer künftig Partei und Regierung führt. Obwohl sie sich zuversichtlich gab, siegreich aus dem Votum hervorzugehen, kündigte sie ebenfalls an, bei einer Niederlage in die zweite Reihe zurücktreten zu wollen. »Sollte ich wider Erwarten die Abstimmung verlieren, werde ich keinen weiteren Anspruch auf die Führerschaft geltend machen«, sagte sie vor der Presse. Und: Sie erwarte ebensolches von ihrem Herausforderer.

In den letzten Tagen hatte sich das parteiinterne Kräftemessen zugespitzt. Insider in Canberras Regierungskreisen äußerten, Rudd – Vorgänger von Gillard – wäre mit seinem Schritt einer drohenden Entlassung in den nächsten Tagen nur kurz zuvor gekommen. Sollte dies stimmen, hat er zumindest rechtzeitig das Ruder herumgerissen, um aus einer Position der Stärke in die Abstimmung zu gehen. Wie deren Ergebnis aussehen wird, ist aber vollkommen offen. Australische Medien sagen dem bisherigen Außenminister bislang eine gesicherte Gefolgschaft von 35 bis 40 der 103 Parlamentariern aus der Labor Party voraus. Über das Wochenende dürfte damit von beiden Seiten noch einmal mit aller Kraft versucht werden, den jeweils anderen in ein schlechtes Licht zu rücken.

Für Julia Gillard ist es bereits bitter, daß Rudd sie quasi mit ihren eigenen Waffen geschlagen hat. War sie es doch, die im Sommer 2010, wenige Wochen vor der Parlamentswahl, den damaligen Premier in einem parteiinternen Putsch gestürzt hatte. Mit der Berufung ihres Rivalen zum Außenminister war der Zwist zwar nach Bildung der neuen Regierung nach außen hin beigelegt. Doch vielen Beobachtern war schon zu diesem Zeitpunkt klar, daß der innere Frieden in der Partei längst noch nicht wiederhergestellt war.

Der erneute Machtkampf unter umgekehrten Vorzeichen ist auch ein Ausdruck der Krise Labors als Regierungspartei. Träge, unfähig, abgehoben – das waren Attribute, mit denen die Australier zuletzt ihre politische Führung in Verbindung brachten. Hatte es seinerzeit unter Rudd immerhin noch gewisse Visionen gegeben, verlor sich die Partei unter seiner Nachfolgerin im Kleinkrieg des Tagesgeschäfts. Gillard, die ihre Politikerkarriere eigentlich auf dem linken Parteiflügel begonnen hatte, zeigte sich als kühle Managerin, die dennoch nicht einen einzigen durchschlagenden Erfolg vorweisen konnte. Mit der Feststellung, daß unter ihrer Führung die Sozialdemokraten an der Wahlurne 2013 keinen Blumentopf gewinnen können, sagt Rivale Rudd nur das, was alle Meinungsumfragen der Premierministerin seit Monaten bescheinigen.

Während die bürgerliche Opposition frohlockt, ist momentan unklar, ob es nach dem Votum am Montag sogar zu vorgezogenen Neuwahlen kommt. Tony Windsor, einer der drei Unabhängigen, die Labor bisher prinzipiell stützten, kündigte an, im Falle eines Führungswechsels nicht mehr zur Verfügung zu stehen. Dafür sagte Andrew Wilkie, der Julia Gillard kürzlich seine Unterstützung entzogen hatte, er wäre bereit, mit Rudd zu kooperieren. Rob Oakeshott, der solches vorige Woche ausgeschlossen hatte, wollte sich zunächst nicht äußern. Oppositionspolitiker haben vorsorglich schon Neuwahlen gefordert.

* Aus: junge Welt, 24. Februar 2012


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