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Zitterpartie

Australien vor Parlamentswahlen: Sozialdemokraten unter Premier Kevin Rudd droht Machtverlust

Von Thomas Berger *

Im Finale des australischen Wahlkampfes – am Samstag wird in Down Under ein neues Parlament gewählt – wurde Herausforderer Tony Abbott konkret. Von steuerlichen Entlastungen für die Wirtschaft war seitens der konservativen Opposition zwar immer wieder die Rede gewesen. Nun kündigte ihr Spitzenkandidat an, man wolle die Körperschaftssteuer, derzeit 30 Prozent, um anderthalb Prozentpunkte absenken. 750000 Unternehmen, vor allem die großen Konzerne, würden davon profitieren – im Gegenzug nähme der Fiskus in der kommenden Legislaturperiode rund fünf Milliarden Dollar weniger ein. Damit droht ein Haushaltsloch. Zumal Abbott auch gern die Sondersteuer wieder abschaffen will, mit der die Expremierministerin Julia Gillard den Bergbausektor, Rückgrat der australischen Wirtschaft, belegt hatte. Bei der CO2-Steuer, ebenfalls von der Labor-Regierung eingeführt, ist unklar, ob sie langfristig Bestand haben wird.

Julia Gillard ist Geschichte. In einem parteiinternen Putsch hatte ihr Dauerrivale Kevin Rudd, 2010 kurz vor der damaligen Wahl von ihr unter gleichen Umständen zum Abtritt gezwungen, Ende Juni im dritten Anlauf dieser Art erneut das Amt des Regierungschefs übernommen. Für viele in der Labor Party, die schon als scheintot galt, schien der Führungswechsel die einzige Hoffnung, noch eine kleine Chance auf Machterhalt zu sichern. Tatsächlich hauchte Rudd den Sozialdemokraten neues Leben ein. Vorher im Keller verharrenden Umfragewerte stiegen an, es schien ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit den konservativen Herausforderern zu geben. Die Zuversicht währte indes nicht lange: Bei den letzten Umfragen liegt Abbotts »Coalition« aus Liberaler und Nationaler Partei wieder deutlich vorn.

Dabei fällt selbst nach objektiven Analysen die Bilanz der Sozialdemokraten gar nicht so schlecht aus, wie sie der Herausforderer und seine Getreuen unablässig darzustellen versuchen. Seit dem großen Machtwechsel 2007 nach elf Jahren rechtskonservativer Dominanz unter Expremier John Howard haben die Privathaushalte in ihrem jährlichen Durchschnittseinkommen um 15 Prozent (gut 5300 Dollar) zulegen können. Unter Julia Gillard lag in den letzten knapp drei Jahren die Teuerungsrate der Lebenshaltungskosten lediglich bei 1,6 Prozent – der niedrigste Wert aller Regierungen seit einem Vierteljahrhundert. Statistisch bereinigt gab es eine jährliche Zunahme der Realeinkommen um 2,6 Prozent, ein identischer Wert im Vergleich zu Rudd in seiner ersten Amtsperiode und zuvor Howard.

Ein Wissenschaftlerteam der Universität von Canberra hat gerade die Studie mit diesen Zahlen vorgelegt. Ob sie Labor im Endspurt zu helfen vermögen, ist zweifelhaft: Die Unzufriedenheit ist ungeachtet solch neutraler Parameter vielfach groß. Doch weder Wirtschafts- und Umweltfragen noch Bildung oder soziale Gerechtigkeit dominierten den Wahlkampf. Sondern ein Thema, bei dem es quasi schon eine große Koalition gibt – die Asylpolitik. Was den Ausbau der Festung Australien angeht, sind sich regierende Sozialdemokraten und oppositionelle Konservative in der prinzipiellen Stoßrichtung einig: Mehr Abschreckung, um den Strom der von Indonesien herüberkommenden Bootsflüchtlinge (im ersten Halbjahr gut 13000) einzudämmen. Dafür scheint keine Idee zu abwegig.

Kleine Parteien und damit explizite Linkskräfte wie die mancherorts antretende Socialist Alliance sind beim speziellen australischen Wahlsystem ohne reale Chance auf ein Abgeordnetenmandat. Denn neben dem von der einstigen Kolonialmacht Großbritannien geerbten Mehrheitswahlrecht gibt es als Besonderheit noch die Präferenzstimmen. Der Wähler darf nicht nur seinen Favoriten ankreuzen, sondern auch angeben, wen er als zweite Wahl sieht. Die Parteien unterbreiten ihren jeweiligen Anhängern in der Regel eine Empfehlungdafür. Dabei stehen oft nicht politische Nähe, sondern taktische Aspekte im Vordergrund. Die neue Wikileaks-Partei von Julian Assange hat sich mit ihrer Empfehlung für rechtspopulistische Gruppen selbst ins Aus befördert, etliche prominente Mitglieder kehrten ihr deshalb den Rücken.

* Aus: junge welt, Freitag, 6. September 2013


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