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Militärische "Anschlussfähigkeit"

Das österreichische Verteidigungsministerium demontiert die "immerwährende Neutralität" - Aufrüstungsprojekte für Kriegseinsätze

Von Gerald Oberansmayr *

Gegenüber der breiten Öffentlichkeit werden Molterer & Co nicht müde zu betonen, dass Österreich unbedingt Eurofighter braucht, um seine Neutralität zu sichern. Für einen erlesenen Kreis gibt das Büro für Sicherheitspolitik im Verteidigungsministerium die Publikationsreihe „Strategische Analysen" (SA) heraus. In der Ausgabe der SA vom Oktober 2005 (1) nimmt sich die Ministerialbürokratie kein Blatt vor den Mund, worum es bei den Eurofightern und anderen Aufrüstungsprojekten tatsächlich geht: militärische „Anschlussfähigkeit" und „Luftkampfverband mit Deutschland und Italien“.

Als Erstes räumen die SA mit der Neutralitätslüge auf. Der Neutralität sei mit der „politischen Integration in die EU die Grundlage entzogen" worden, Österreich habe den „formellen Neutralitätsvorbehalt mit Umstellung auf den Beitritt zur EU am 9. November 1993 fallen gelassen". Außerdem hätte sich „die Neutralität Österreichs als Instrument der Existenzsicherung eines Kleinstaats im internationalen System faktisch selbst überlebt". Die Regierungspolitik nehme die Neutralität ohnehin nicht mehr ernst, denn „das offizielle Österreich hat sich beständig für einen kontinuierlichen Ausbau der Handlungsfähigkeit der ESVP (Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) eingesetzt." Deshalb habe man auch die österreichische Bundesverfassung (Artikel 23) geändert, um auch bei „Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung" im Rahmen der EU mitwirken zu können. Schlussfolgerung der SA: „Die Neutralität ist nicht nur innerhalb der militärischen Führung, sondern auch in einem weiten Kreis der politischen Elite endgültig zu einem ‚Konzept der Vergangenheit' geworden."

„Traditionelle Präferenz.“ Die Werkstatt Frieden & Solidarität hat immer wieder gewarnt, dass die Aufgabe der österreichischen Neutralität direkt in die unselige Vergangenheit unseres Landes zurückführt, sprich zur militärpolitischen Anbindung an die deutschen Machteliten. Die Publikation des Verteidigungsministeriums unterstreicht diese Befürchtungen. Die SA betonen hinsichtlich militärpolitischer Allianzen Österreichs offen die „traditionelle und klare Präferenz für Deutschland". Man stutzt. Worauf bezieht sich das „traditionell"? Die Zeit nach 1945 dürfte eigentlich nicht gemeint sein, da der Staatsvertrag die militärische Kooperation mit Deutschland untersagt.

Auch in Bezug auf die Eurofighter werden die offiziellen Erklärungen der Regierenden Lügen gestraft und es wird gesagt, worum es wirklich geht. Die Beschaffung von deutschem Kriegsgerät wie Eurofighter-Typhoon und Kampfpanzer Leopard IIa diene der „stärkeren europäischen Einbindung Österreichs" durch „systemidentische Militärkapazitäten". Als „Finalität" der Eurofighter-Beschaffung solle man „die Aufstellung eines mitteleuropäischen bi- beziehungsweise multinationalen Luftkampfverbands (etwa mit Deutschland und/oder Italien)" ins Auge fassen, „dessen gemeinsamer Host aufgrund der zentralen Lage durchaus in Österreich liegen könnte." Die Achsenmächte lassen grüßen.

„Juniorpartner“. Auch die Beteiligung Österreichs an den EU-Schlachtgruppen wird ganz unter dem Gesichtspunkt der militärischen Anbindung an Deutschland gewürdigt. Die SA im O-Ton: „Die Beteiligung Österreichs als Juniorpartner einer EU-Battle-Group erscheint ebenso opportun wie militärisch und finanziell tragbar. Deutschland bietet sich als Kooperationspartner dabei nicht nur aufgrund der unmittelbaren geografischen Nähe (Stationierung, Übungen) und der gemeinsamen sprachlichen Basis an, sondern erscheint angesichts der eigenen militärischen Auslastung und allgemeiner finanzieller Handlungsrestriktionen durchaus auch zur Zusammenarbeit gewillt." Als „Juniorpartner" der größten EU-Macht will man im Verteidigungsministerium offensichtlich auch vor militärischen Großtaten nicht mehr zurückschrecken. So plädiert die Schrift des Verteidigungsministeriums leidenschaftlich dafür, sich frühzeitig an der „Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit" (SSZ) zu beteiligen, um von Anfang an bei der „sicherheitspolitischen Avantgarde" der EU mitmischen zu können. Die SSZ ist im EU-Verfassungsentwurf als militärisches Kerneuropa jener EU-Staaten definiert, die „anspruchsvollere Kriterien in Bezug auf die militärischen Fähigkeiten erfüllen und die in Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen untereinander weiter gehende Verpflichtungen eingegangen sind." (Art. I.41, 6).

Das Verteidigungsministerium will nicht bloß Mitläufer der EU-Militarisierung sein, sondern deren Motor. Wörtlich heißt es in den SA: „Ein Schlüssel für den Erfolg eines größeren österreichischen Einflusses liegt dabei in seiner Initiativkraft. So kann es nicht ausreichen, nur an laufenden Projekten und Operationen der EU zu partizipieren, sondern die Voraussetzung ist, dass Österreich auch versucht, ‚alles in seiner Möglichkeit Stehende zu tun, um an der Weiterentwicklung der ESVP konsequent mitzuwirken' (Verteidigungsminister Platter) und aktiv in die Gestaltung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU einzugreifen." Damit öffne sich Österreich eine „Hintertür zu den informellen Abstimmungszirkeln im Bereich der ESVP." Denn - so befürchten die SA - ohne die Bereitschaft mit den militärischen Schwergewichten in der EU mitzuziehen und „die dafür notwendigen Ausgaben zu schultern", drohe die Gefahr, dass die militärische „Anschlussfähigkeit" Österreichs sinkt. Im Jahr 2007 steigt das österreichische Rüstungsbudget um über 30%. Lieber bricht das Establishment alle Wahlversprechen, als die militärische „Anschlussfähigkeit" in Frage zu stellen.

„In den Krieg ziehen.“ Die vom Büro für Sicherheitspolitik herausgegebenen „Strategischen Analysen", aus denen hier zitiert wurde, entsprechen offensichtlich der Meinung des Verteidigungsministeriums. Nie wurden diese Äußerungen der militärischen Hochbürokratie kritisiert oder in Zweifel gezogen. Wie denn auch, letztlich wird darin nur die Praxis der verschiedenen Regierungen seit dem EU-Beitritt beschrieben: die Demontage von Neutralität und Staatsvertrag und die Aufrüstung für offensive EU-Militäreinsätze. Letztlich läuft das auf einen militärpolitischen Anschluss an Deutschland hinaus. Um das zu verschleiern, wird von Seiten der Machteliten wohl noch eine Zeitlang an der verlogenen Neutralitätsrhetorik festgehalten werden. Wie hat doch ein - nicht näher benannter, aber unschwer zu erratender - Botschafter eines Landes, mit dem Österreich gemeinsam eine EU-Battle-Group aufstellt, süffisant bemerkt: „Solange ihr mit uns in den Krieg zieht, ist uns euer Status egal." (Presse, 18.11.2004)

Anmerkung:
  1. Strategische Analysen: Möglichkeiten und Grenzen der EU-Streitkräfteintegration, Wien, Oktober 2005
* Aus: guernica, (österreichische) Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition, 4/2007


Die "guernica", die Zeitung für Frieden & Solidarität, Neutralität und EU-Opposition, ist die offizielle Publikation der Werkstatt Frieden & Solidarität (vormals Friedenswerkstatt Linz).
Ein Jahresabo (10 Ausgaben) kostet 9 EUR. Weitere Informationen oder Bestellungen: office@werkstatt.or.at
Oder Tel.: 0043 (0) 732 - 77 10 94



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