Von CIMIC bis Doktor Seltsam
Schlaglichter österreichischer Außen- und Sicherheitspolitik in der EU-Präsidentschaft
Von Thomas Roithner*
Das vom österreichischen Außenministerium erstellte Papier zur
EU-Präsidentschaft 2006 (www.eu2006.at) weist ein breites Programm auf.
Vom Startschuss zur EU-Menschenrechtsagentur, dem geographischen
Schwerpunkt Westbalkan, den Kosovo-Verhandlungen, dem EU-USA-Gipfel, dem
EU-Lateinamerika-Gipfel reicht das Programm bis zur Benennung von
Strategien zum Persischen Golf, Afrika, Nahen Osten, China, Japan und
Indien. Im zivilen, militärischen („battle groups“) wie auch im
zivil-militärischen Teil der Sicherheits- und Verteidigungspolitik will
man Kontur zeigen und die Debatte ein Stück vorwärts bringen. Ebenso auf
der Agenda ist die mögliche Vorbereitung und Effektivierung von
EU-Auslandseinsätzen (z.B. Kongo), repräsentieren doch Österreichs
SoldatInnen seit Dezember 2005 die „lead nation“ der EU-Truppe beim
„Althea“-Einsatz.
Auf die zivil-militärische Zusammenarbeit (civil-military cooperation =
CIMIC) wird unter den politisch-militärischen Eliten der gesamten Union
ein Loblieb gesungen. Bietet sie doch für Militärs die optimale
Legitimationsgrundlage für künftige Auslandseinsätze, denen nicht selten
militärischer Interventionsgeruch vorausweht. Nicht umsonst sieht der
Leiter der Katastrophenhilfe der Caritas International in der
Verwischung von zivilen und militärischen Aufgaben einen „Widerspruch
zum Neutralitätsprinzip“. Oft sei der Fall, dass „je mehr [sich] die
humanitären Helfer sich unter den Schutz einer Militärmacht begeben,
desto eher werden sie von den Feinden dieser Militärmacht bedroht“ und
verweist dabei auf Einsätze zahlreicher Hilfsorganisationen in
Afghanistan und dem Irak.
Die besondere Bedeutung von CIMIC betont auch „Verteidigungs“minister
Platter in dem für die EU-Präsidentschaft in Auftrag gegebenen Bericht
„Militärische Aspekte im Bereich der ESVP“ (www.bmlv.at 2006). Das
Augenmerk liegt dabei bei den EU-Auslandseinsätzen. Diesen Eindruck
bestätigte auch die am Beginn der Präsidentschaft am 12. und 13. Jänner
2006 in Wien abgehaltende Konferenz „The Role of the EU in Civilian
Crisis Mangagement“, die Probleme benannte und nach Auswegen suchte.
Eine spezielle Aufgabe der EU-Präsidentschaft für das
„Verteidigungs“ministerium ist, den Einmeldungsprozess zum Streitkräfte
Planziel (Headline Goal 2010) durchzuführen. Dieses bereits im Juni 2004
beschlossene Headline Goal will bis im Jahr 2007 die schnell verlegbaren
Gefechtsverbände („battle groups“) einsatzfähig machen, bis 2008 die
Verfügbarkeit eines EU-Flugzeugträgers samt Begleitschiffen
gewährleisten und bis 2010 weltraumgestützte Kommunikationsmittel
bereitstellen. Der Begriff der „Verteidigung“ sei bei derartigen Zielen
auch zur Debatte gestellt, wenn der ehemalige deutsche
„Verteidigungs“minister meinte „Die Sicherheit der Bundesrepublik wird
auch am Hindukusch verteidigt“. In der Öffentlichkeit spricht man
angesichts des Streitkräfte Planziels 2010 von „Langfristigen
Militärischen Perspektiven“ oder „der maritimen Dimension des
Planziels“, um die Bevölkerung ob der künftigen Pläne nicht unnötig
kritisch zu stimmen. Das Mandat der EU-Präsidentschaft in Bezug auf die
Sicherheitspolitik umfasst mehrere Dutzend Fortsetzungen, Planungen,
Vorbereitungen und Prüfungen von Militär- und Polizei-Operationen vom
Balkan über den Irak und Palästina bis zum Sudan und den Kaukasus.
Für künftige Einsätze der EU-Truppe ist Österreich Teil einer
Deutsch-geführten „battle group“. Bis heute blickt das
Verteidigungsministerium stolz auf den 1998 von SPÖ und ÖVP
beschlossenen Artikel 23 f der Verfassung zurück, der Österreich auch
die Teilnahme an EU-Kampfeinsätzen – nötigenfalls ohne UNO-Mandat –
durch die Stimmen von Bundeskanzler und Außenministerin ermöglicht. Dies
kommt dem Wunsch an die Präsidentschaft nach, die verfügbaren Truppen im
Namen der EU rasch einsetzen zu können (Der Standard 25./26.2.2006). Die
deutsche Tageszeitung Junge Welt will sogar wissen, dass der
Österreichische Botschafter Franz Cede die Stoßrichtung der
Selbstmandatierung der EU bei Militärinterventionen unterstützte und
damit die Tür in Richtung völkerrechtswidriger Kriege (d.h. ohne
UNO-Mandat) aufstößt. Cede trat in Brüssel als Vertreter der
EU-Ratspräsidentschaft auf (JW, 25.2.2006). Die Instrumente und
Institutionen für ein rasches außenpolitisches Handeln „stehen bereit“,
meinte auch Außenministerin Plassnik (Die Presse, 28.1.2006). Die
Neutralität findet – wie schon im letztjährigen Jubiläum – keine Erwähnung.
Das Kampfflugzeug Eurofighter – Grün-Abgeordneter Pilz thematisierte
sogar Schmiergelder über die Industriellenvereinigung an die ÖVP (Die
Presse, 1.2.2006) – kommt auch in der Präsidentschaft nicht aus den
Schlagzeilen. Die Regierung hat 25 Luft-Luft-Raketen des Typs „IRIS-T“
für den Eurofighter ohne öffentliche Debatte gekauft. Deutschland hat
1250 Stück davon beschafft und dafür 400.000 Euro pro Stück berappt.
Diesen großzügigen Mengenrabatt auch auf die Alpenrepublik zu
übertragen, würde einen Kaufpreis von rund 11 Millionen Euro ausmachen.
Das Problem ist, dass das „Milliardengrab“ (Anton Gaal) dafür erst
nachgerüstet werden muss. Kostenpunkt: 10 Millionen Euro (Kurier 26.1.2006).
Für besondere Aufregung sorgten die Aussagen des nunmehr seiner Funktion
enthobenen Sektionschefs im Verteidigungsministerium Erich Reiter. Seine
Gedanken über die EU-Atombombe und der Teilhabe für „alle EU-Völker“
(News 6/2006) führten nach heftigsten Protesten zur Abberufung durch den
Minister. Reiter wollte darüber eine Diskussion anregen „die Atombombe
im Ernstfall auch einsetzen [zu] wollen“ (News 6/2006). Reiter steht mit
derartigen Forderung in der EU nicht alleine. Das von der EU in Auftrag
gegebene „European Defence Paper“ entwickelt Szenarien „in denen die
nationalen Atomstreitkräfte von EU-Mitgliedstaaten (Frankreich und
Großbritannien) entweder explizit oder implizit in die Planung
einfließen können“. Aufgrund einer Petition unterschiedlichster
Friedensinitiativen wurde das Bundesverfassungsgesetz für ein
„atomfreies Österreich“ (sog. „zivile“ und militärische Nutzung) bereits
vor Jahren beschlossen (siehe u.a.
http://derstandard.at/?url=/?id=2338567). Der „Fall Reiter“ erinnert an
eine Aussage des luxemburgischen Premierministers Jean-Claude Juncker:
„Wir beschließen etwas, stellen das dann in den Raum und warten einige
Zeit ab, was passiert. Wenn es dann kein großes Geschrei gibt und keine
Aufstände, weil die meisten gar nicht begreifen, was da beschlossen
wurde, dann machen wir weiter – Schritt für Schritt, bis es kein Zurück
mehr gibt“ (Der Spiegel 52/1999).
Nicht nur der Gipfel der EU mit Lateinamerika und den USA wird breite
Möglichkeiten für zivilgesellschaftliche Beteiligung geben. Der
Bush-Besuch am 21.6. wie der alternative Lateinamerika-Gipfel
(www.alternativas.at) bietet die Möglichkeit, alternative
außenpolitische Denkansätze einer breiteren Öffentlichkeit vorzustellen.
Wenn Ratspräsident Wolfgang Schüssel eine „Tobinsteuer“ einfordert
(Handelsblatt 19.1.2006) liegt es auch an den BürgerInnen, diese für
friedliche, soziale, ökologische und kulturelle Verwendungszwecke
einzufordern.
Die Hoffnung der vorerst gescheiterten Initiative der beiden
EU-Atommächte Frankreich und Großbritannien sowie Deutschlands, den Iran
zur Abkehr seines Atomprogrammes zu bewegen, liegen vorerst in Moskau.
Dies ist nur ein außenpolitischer Aspekt, bei dem die USA die EU noch
für ihre Zwecke weiter instrumentalisieren werden.
1. März 2006
* Dr. Thomas Roithner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am
Österreichischen Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung (ÖSFK
Burg Schlaining), Außenstelle Wien und ehrenamtlich in unterschiedlichen
Zusammenhängen der Friedensbewegung tätig.
Vorankündigung:
23. Schlaininger Sommerakademie
9. – 14. Juli 2006, Burg Schlaining
"Gute Medien – Böser Krieg?
Medien am schmalen Grat zwischen Cheerleadern des Militärs und
Friedensjournalismus"
u.a. mit Mira Beham, Freimut Duve, Hans von Sponeck, Andreas Zumach,
Heinz Loquai, Ulrich Tilgner, Fritz Hausjell, Hans Peter Graß, u.v.a.
Infos: Thomas Roithner, ÖSFK, e-Mail:
aspr.vie@aspr.ac.at
Programminfos unter
www.aspr.ac.at
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