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Alles beim alten

Neue Regierung in Österreich vorgestellt. "Nulldefizit" oberstes Ziel der großen Koalition

Von Simon Loidl, Wien *

Zweieinhalb Monate nach den Parlamentswahlen hat Österreich eine neue Regierung. Ende vergangener Woche haben die beiden größten Parteien, die Sozialdemokraten (SPÖ) und die konservative Volkspartei (ÖVP), ein Koalitionsabkommen präsentiert. Inhaltlich handelt es sich um eine Weiterführung des bisherigen Regierungskurses. Im Sinne einer EU-konformen Budgetkonsolidierungspolitik wird die Kombination aus schleichendem Abbau von Sozialleistungen und unternehmerfreundlichen Maßnahmen zur »Standortsicherung« fortgesetzt.

Oberstes Ziel ist das Erreichen eines »strukturellen Nulldefizits« bis zum Jahr 2016. Bei der Präsentation des Abkommens verteidigte der bisherige und künftige Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ) diese Priorität mit Verweis auf »Anleger aus der ganzen Welt«, die ein ausgewogenes Verhältnis von Wirtschaftskraft und Schuldenstand »verlangen« würden. Auch der konservative Vizekanzler Michael Spindelegger sprach von »harten Maßnahmen«, welche die Koalition umsetzen müsse, die aber im Sinne des angestrebten »größeren Ziels« des strukturellen Nulldefizits notwendig seien.

Verschlechterungen sind etwa im Rentenbereich geplant. Das faktische Pensionsantrittsalter soll von derzeit 58,4 Jahre auf 60,1 Jahre bis 2018 angehoben werden. Dies soll etwa durch »Bonuszahlungen« für Unternehmen erreicht werden, die ältere Personen einstellen. Ein vorzeitiger Rentenantritt soll künftig mit Abschlägen bestraft werden.

Kommentatoren in österreichischen Medien lobten dies. Die Überzeugung, daß das Rentensystem nur durch längeres Arbeiten gesichert werden kann, ist unhinterfragt. In einer Zusammenfassung des Regierungsabkommens, die von der SPÖ-Spitze für Parteifunktionäre verfaßt wurde, findet sich der Hinweis auf die Anhebung des Pensionsantrittsalters unter dem Punkt »Das hat die SPÖ durchgesetzt«.

Für Empörung sorgte indes die Auflösung des Wissenschaftsministeriums. Dieses wird durch ein neu geschaffenes Familienministerium ersetzt, die Wissenschaftsagenden werden künftig vom Wirtschaftsminister erledigt. Viele Beobachter werten dies als Hinweis auf eine verstärkte Ausrichtung der Wissenschaftspolitik auf ökonomische Interessen. Der Vorsitzende der Universitätenkonferenz, Heinrich Schmidinger, forderte Bundespräsident Heinz Fischer auf, keine Regierung ohne Wissenschaftsminister zu vereidigen.

An der SPÖ-Basis regt sich ebenfalls Widerstand. Bei der Abstimmung über das Koalitionsabkommen im Parteivorstand stimmten sechs von 70 Mitgliedern des Gremiums gegen das Papier. Der Landeshauptmann der Steiermark, Franz Voves, enthielt sich der Stimme und legte sein Amt als Vizeparteichef nieder. Die sozialdemokratischen Jugendorganisationen zeigten sich enttäuscht darüber, daß ein zentrales Wahlkampfversprechen der SPÖ, die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer, diskussionslos der Einigung auf einen Kompromiß mit der ÖVP geopfert wurde.

Die langen Verhandlungen zwischen SPÖ und ÖVP haben den Oppositionsparteien genützt. Umfragen aus der vergangenen Woche zufolge würde die rechtsextreme Freiheitliche Partei derzeit als stärkste Kraft aus Wahlen hervorgehen. Das neue Regierungsprogramm scheint wenig geeignet, diesem Trend etwas entgegenzusetzen.

* Aus: junge Welt, Montag, 16. Dezember 2013


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