"Wir sagen, was Schröder denkt."
Jörg Haider im Interview mit der "Welt"
Am 22. September 2000 brachte die deutsche Tageszeitung "Die Welt" ein Interview mit dem heimlichen FPÖ-Chef und europäischen Rechtsaußen Jörg Haider. Wir dokumentieren es hier, weil seine Positionen zu Europa gar nicht so weit weg sind von denen der anderen westeuropäischen Regierungen einschließlich der rot-grünen Koalition in Berlin. Das Interview führten Nikolaus Blome und Andreas Middel.
DIE WELT: Die Sanktionen der 14 EU-Partner gegen Österreich sind
beendet. Alle wollen zurück zur Tagesordnung. Sie auch?
Jörg Haider: Ich erwarte auch vom deutschen Bundeskanzler, dass er die
Größe hat, seinen Irrtum einzuräumen und sich dafür zu entschuldigen.
Die deutsche Regierung hat sich absolut schnoddrig benommen. Aber das
Verhalten in Berlin und Paris seit dem Ende der Sanktionen deutet
daraufhin, dass sie nichts dazugelernt haben.
DIE WELT: Ist die EU nach den Sanktionen für Sie eine andere?
Haider: Die Idee Europas ist beschädigt durch das unkultivierte Vorgehen
einiger so genannter EU-Staatsmänner. Ein kleines Land wird
diszipliniert, weil es nicht so läuft, wie die Kolonialherren wollen.
DIE WELT: Was heißt beschädigt?
Haider: Das Europa einer friedlichen, partnerschaftlichen
Zusammenarbeit funktioniert nicht. Ein paar Mächtige wollen sich über
die vielen Kleinen hinwegsetzen. Das sieht man auch an den Äußerungen
von Herrn Chirac und Herrn Fischer. Sie reden von einer elitären
Avantgarde in Europa und von einem Zentralstaat. Das sind Ideen, die
nicht funktionieren. (..) Die Leute durchschauen mehr und mehr, dass sie
von einer politischen Klasse regiert werden, die das Volk nicht ernst
nimmt. (..)
DIE WELT: Heißt das, Deutschland fehlt eine FPÖ?
Haider: Sicherlich. In Wirklichkeit gibt es in Deutschland kein
Gegengewicht zur derzeitigen linken Mehrheit. Die CDU ist nicht mehr
handlungsfähig.
DIE WELT: Aber in Deutschland versteht sich doch gerade die CSU
unter Herrn Stoiber auch als eine Partei, die den rechten Rand des
Spektrums in das demokratische Geschehen einbindet.
Haider: Herr Stoiber ist nur eine Kopie der FPÖ-Politik. Alles, was wir
machen, kündigt er mit drei Wochen Verzögerung in Deutschland an.
Aber wir setzen es auch durch. Stoiber polemisiert gegen den Euro und
stimmt dann zu. Er ist gegen die Osterweiterung der EU und stimmt dann
zu. Das ist jämmerlich. (..) Die Frage ist, ob ein Land wie Deutschland
ohne eine Reformkraft wie die FPÖ auskommen kann. Die CSU müsste
entweder bundesweit antreten, oder es braucht eine neue Partei wie die
FPÖ. Parteien wie die FPÖ in anderen EU-Ländern zu etablieren, will ich
auch nicht ausschließen. (..)
DIE WELT: Das haben die Drei Weisen in ihrem Bericht anders
formuliert. Sie haben zwar den Sanktionen der 14 kritisiert, zugleich aber
die FPÖ als "rechtspopulistische Partei mit radikalen Elementen"
bezeichnet.
Haider: Das empfinde ich als Auszeichnung. (..)
DIE WELT: Gilt das auch für Ihre Stimmungsmache gegen die
Osterweiterung der EU?
Haider: Die schönen, barocken Erklärungen zur Osterweiterung sind
heuchlerisch. Ich bin überzeugt, dass EU-Kommissar Verheugen nach
Absprache mit der deutschen Regierung eine Volksabstimmung über die
Erweiterung ins Spiel gebracht hat. Das war ein Bremsmanöver von
Bundeskanzler Schröder. Auch für Deutschland ist eine rasche
Osterweiterung nicht verkraftbar.
DIE WELT: Woher wissen Sie das?
Haider: Das unterscheidet uns. Wir sagen dem Bürger
unmissverständlich, was für Folgen welcher Schritt hat: dass eine zu
rasche Osterweiterung große Probleme auf dem Arbeitsmarkt und bei der
Zuwanderung bringt. Und dass er wie wir das traditionelle Milieu der
Arbeiterschaft dem Ganzen nicht schutzlos ausliefern darf. Wir reden
offen darüber und werden dafür von Herrn Schröder geprügelt, obwohl er
dasselbe denkt wie wir. Er traut sich nur nicht, diese Dinge
auszusprechen. Schröders Verhalten ist einfach heuchlerisch. (..)
DIE WELT: Insgeheim scheinen die 14 EU-Staaten nicht nur eine
Blockade Österreichs bei der Osterweiterung zu befürchten, sondern,
viel näher liegend, Probleme bei der für Dezember geplanten EU-Reform.
Haider: Es wird schwieriger sein, dort einen Kompromiss zu finden. Die
FPÖ wird dafür sorgen, dass es nicht zu einem Europa der
Kolonialherren kommt. Nach den Erfahrungen mit den Sanktionen haben
wir massive Vorbehalte, vom Einstimmigkeitsprinzip abzugehen.
DIE WELT: Was heißt das?
Haider: Wie man Österreich behandelt hat, hat den kleineren
Mitgliedsstaaten die Augen geöffnet. Heute geht es gegen Österreich.
Morgen fällt man über die Dänen her, wenn sie den Euro ablehnen. Und
übermorgen über die Niederländer, weil sie in der Ausländerpolitik einen
restriktiven Kurs fahren. Das kann Europa nicht sein.
DIE WELT: Würden Sie am liebsten aus der EU aussteigen?
Haider: Niemand hat die Illusion, wir könnten das Ganze wieder auflösen,
und das war's. Europa muss ja sein. Aber eben nicht dieses Europa. Wenn
die Dänen nächste Woche den Euro-Beitritt ablehnen, dann wäre das ein
Signal für den notwendigen Neubeginn. Heute hat die EU doch die
Tendenz zu einem zentralistischen System, das die Bürger in Geiselhaft
hält, in dem der Einzelne in Wahrheit nix zu bestimmen hat und wo eine
Hand voll problematisch legitimierter Führungskräfte alle
Lebensentscheidungen fällt.
DIE WELT: Noch einmal. Die EU-Reform in Nizza wird aller
Voraussicht nach Ihren Wünschen zuwiderlaufen, weil es zu Gunsten der
Handlungsfähigkeit der EU dabei um die Ausweitung der
Mehrheitsentscheidungen geht, also um die Aufgabe von alleiniger
nationaler politischer Souveränität.
Haider: Nizza wird geplant, ohne zu beachten, wie sehr sich Europa durch
die Sanktionen verändert hat. Das ist typisch französisches
Großmachtdenken, nicht europäische Partnerschaft. Das wird nicht
funktionieren.
Aus: Die WELT, 22 September 2000
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