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5 Kommentare zum Bericht der drei "Weisen"

Persilschein für Schwarz-Braun

Kommentar 1:

Österreich freut sich - oder jedenfalls ein Teil Österreichs. Nachdem die "drei Weisen" im Auftrag der EU-Musterdemokratien ihren Bericht Staatspräsident Chirac übergeben haben, darf sich die Wiener Regierung sicherer im Sattel fühlen als je zuvor. Der Bericht kommt zum erwarteten Ergebnis, dass in Österreich alles in Ordnung ist, der Alpenstaat in Bezug auf Ausländerfeindlichkeit und Rassismus sich auch nicht von den übrigen EU-Staaten unterscheide. Insoweit seien die gegen das Land verhängten Sanktionen, die sich ohnehin mehr auf der diplomatischen denn auf der realen Ebene auswirkten, nicht zu vertreten. Sie seien sogar "kontraproduktiv", da sie erst jenen nationalistischen Kräften und Stimmungen Auftrieb gegeben hätten, derentwegen die Sanktionen ergangen waren.

Nun haben wir von Anfang an die "Sanktionen" gegen Österreich für verfehlt betrachtet. Wenn 14 Musterdemokratien einmütig mit ihren Zeigefingern auf Österreich zeigten, dann war klar, dass die übrigen Finger auf sie selbst zurück wiesen. Neofaschistische und andere rechtsextreme Parteien gibt es nicht nur in Österreich, auch Frankreich, Italien, Dänemark, Belgien, Norwegen können da ganz gut mithalten. Und wenn wir die Welle an rechtsradikaler Gewalt gegen Fremde und "Andersartige" in Deutschland sehen, dann ist nicht einsehbar, warum man so eilfertig mit Österreich ins Gericht ging. Sollte von den eigenen Demokratiedefiziten und rechter Gesinnung, die ja bis in die Mitte der Gesellschaft hinein reicht, abgelenkt werden?

Die Sanktionen waren lebensfremd. Nicht weil - aus unserer Sicht - die Vorwürfe gegen Wien unberechtigt waren - der Rechtsruck in der österreichischen Politik ist in der Tat gewaltig, nur er bewegt sich offenbar weitgehend im Rahmen bürgerlicher Politik, die auch in anderen EU-Staaten mit christlichen oder sozialdemokratischen Regierungen getrieben wird. Sie waren lebensfremd, weil sie Aktionismus gegen Rechts vortäuschten und den eigenen Regierungen einen Heiligenschein an Multikulturalismus und Weltoffenheit verliehen, der mit der Realität in EU-Europa seit dem Schengener Abkommen nichts mehr zu tun hat. So gesehen, wird aus dem Eingeständnis der drei "Weisen, die österreichische Ausländer- und Menschenrechtspolitik unterscheide sich nicht von der anderer EU-Staaten, ungewollt zu einer Ohrfeige für EU-Europa!

Hätten sich die drei "Weisen" noch mit anderen Aspekten österreichischer Politik befasst, wären sie zu einer ähnlichen Schlussfolgerung gelangt. Auch die Außen- und Sicherheitspolitik der schwarz-braunen Koalition ist in allen Belangen EU- und NATO-kompatibel. Vor wenigen Tagen äußerte die österreichische Außenministerin mit dem schönen Namen (der irgendwie immer auch an den hessischen Ministerpräsidenten Koch erinnert!) Ferrero-Waldner den Wunsch, Österreich möge doch lieber heute als morgen Mitglied der NATO werden. Und warum eigentlich nicht? War nicht auch Portugal unter dem faschistischen Regime Salazars jahrelang gleichberechtigtes NATO-Land gewesen? Und man darf sicher sein, dass Italien, sollte es Berlusconi gelingen, die Rechtskräfte hinter seinem Banner zu vereinen und damit an die Macht zu kommen, selbstverständlich seinen Platz in der NATO und in der EU behalten wird.

Das Schlimme an den Sanktionen gegen Österreich war, dass sie von Anfang an auf schwachen Füßen standen. Der jetzige Bericht der drei honorigen "Weisen" und die für sicher geltende Aufhebung der Sanktionen wird den Effekt eines Persilscheins für nationalistische Regime in Europa haben, solange diese sich an die sonstigen Gepflogenheiten der restlichen EU-Länder und -Regierungen halten. Diese Gepflogenheiten gipfeln heute in einer fortschreitenden Militarisierung der EU, in fremdenfeindlichen nationalen Gesetzen (z.B. Einschränkung des Asylrechts bis zur Unkenntlichkeit wie z.B. in Deutschland) und in der Durchsetzung einer marktradikalen, neoliberalen Wirtschaftspolitik. Genau dieses Signal ermuntert Haider, Schüssel & Co. in Österreich, mit ihrer neoliberalen Austeritätspolitik und ihrem Anti-Neutralitätskurs fortzufahren. Und was die Behandlung von Ausländern oder politischen Gegnern betrifft, so wird die bisherige "leise" und unauffällige Politik bürgerlicher Biedermänner, wenn es sein muss, auch etwas lauteren Tönen und Handlungen weichen. Dafür steht immer noch der "Rüpel" aus Klagenfurt in Wartestellung. Sein Verzicht auf den Parteivorsitz vor wenigen Monaten hat Haider tatsächlich alle politischen Trümpfe in die Hand gespielt. Die drei "Weisen" haben sich auch durch diesen Schachzug täuschen lassen - oder sie waren sogar froh darüber.
Peter Strutynski (Bundesausschuss Friedensratschlag)

Kommentar 2:

Es wird wohl der Spanier unter den drei Weisen gewesen sein, der die Madrider Tageszeitung El Pais schon einen Tag vorher wissen ließ, was dem amtierenden EU-Ratspräsidenten am Freitag abend offiziell zur Kenntnis gebracht wurde: der Bericht des Trios über die politische und menschenrechtliche Situation in der Republik Österreich. Der weise Rat, der darin erteilt wird, lautet, die Strafmaßnahmen gegen den Kleinstaat aufzuheben, weil deren Fortsetzung »kontraproduktiv« wäre.

Die Herrenrunde aus Finnland, Deutschland und Spanien stellte doppeldeutig fest, daß es in der österreichischen Politik gegenüber Flüchtlingen und Einwanderern keinen Unterschied zu den anderen EU-Staaten gebe. Nicht besonders günstig fiel das Urteil der Weisen über die kleinere der beiden Regierungsparteien aus. Sie werteten die FPÖ als »populistische Rechtspartei mit radikalen Zügen«, die im Wahlkampf fremdenfeindliche Stimmungen benutzt habe.

Auch bevor die drei Moderatoren ihre Banalitäten zum besten gaben, hat keiner der die Sanktionen gegen Österreich zu verantwortenden EU-Politiker die Konsequenz aufgebracht, die Haider-Partei als rechtsextrem oder gar neofaschistisch zu verurteilen. Daß aber die bürgerliche Demokratie »Rechtsparteien« schlechthin ausgrenzt, ist neu, gab es das bisher doch nur in den vielgeschmähten »kommunistischen Diktaturen«. Es ist geradezu so, als würde das EU- Establishment gegenüber Österreich einer Antifa-Losung in ihrer radikalsten Variante folgen: Keinen Fußbreit Boden den Rechten!

Da die Sozial- und Wirtschaftspolitik in EU-Landen aber das genaue Gegenteil beinhaltet, verfolgt die Abwehr der Rechtsgefahr an der Donau wohl auch andere Absichten als die vorgegebenen. Es geht um die Demonstration von Macht, um den Nachweis der Fähigkeit, demokratisch gewählte Regierungen von außen zu delegitimieren. Daß die Wiener Koalition zur Kategorie unerwünschter Regierungen gezählt wird, ist ihre große Tragik. Denn Brüssel mehr untertan und den EU-Vorgaben zur Entsozialisierung mehr verpflichtet als das Schüssel-Kabinett kann eine Regierung nicht sein.

Bleibt noch ein Jörg Haider als die ständige Verhöhnung Brüsseler Bürgerlichkeit. Doch verhöhnt fühlen sie sich, weil er ihnen ihre eigene Melodie vorspielt, das grausame Lied von der Konkurrenzgesellschaft. Es ist eher eine Geschmacksfrage, wenn ihnen Haiders Gassenhauer von den »Fleißigen und Tüchtigen« nicht gefällt. Und daß es zur Durchsetzung einer restriktiven Einwanderungspolitik keiner Haider-Sprüche bedarf, haben die drei Weisen aus dem Abendland diskret, aber unmißverständlich zum Ausdruck gebracht.


Werner Pirker
Aus: junge welt, 09.09.2000

Kommentar 3:

Ein Freispruch mit Haken
von Gerfried Sperl

Die weise Botschaft: Im politischen Österreich muss sich trotzdem vieles wandeln Das Urteil der drei Weisen ist, was die Republik betrifft, eindeutig: Österreich ist kein Nazi-Land, die Lage der Minderheiten, Flüchtlinge und Einwanderer definitiv nicht schlechter als anderswo. Deshalb wird die Aufhebung der Sanktionen durch die EU-Vierzehn verlangt. Der Freispruch erfolgte nicht ohne Einschränkungen. Sie haben drei Buchstaben: FPÖ. Und einen Namen: Dieter Böhmdorfer. Und sie sind Teil einer dreistufigen Beurteilung. Österreich: Ist o. k. Die Regierung: mit Ausnahme des Justizministers ganz ordentlich. Die FPÖ: Sie muss sich von radikalen Elementen trennen, um o. k. zu sein.

Daraus folgt international: Die "Vierzehn" werden nach einigen Tagen der Konsultation die Sanktionen offiziell aufheben. Und national: Mit der Aufhebung hat sich auch die Abhaltung der Volksbefragung erledigt. Außer das "einfache Parteimitglied" in Klagenfurt findet doch noch eine Begründung für sein Plebiszit. Die Frage ist nämlich, ob Jörg Haider Peter Westenthalers erster Einschätzung folgt: "Jede Partei hat Radikale." Und die massive Kritik an Justizminister Böhmdorfer einfach übergeht.

In Verbindung mit den Vorwürfen an die Adresse der FPÖ wird im Bericht mehr oder weniger verlangt, dass einerseits die Vizekanzlerin und Parteichefin, andererseits der Regierungschef selbst die bezeichneten Missstände beheben. Sie heißen: Fremdenfeindlichkeit und Verharmlosung der NS-Vergangenheit sowie Versuch der Knebelung von Kritik und Opposition durch die Justiz. Umso mehr, als die Diskussion über die Widerhaken des Berichts weitergehen sollte. Denn nach der Aufhebung der Sanktionen würde Österreich noch nicht nach Kerneuropa zurückkehren können. Die Behebung der Imageschäden wird einige Zeit dauern.

Einerseits kann die Regierung in Hinkunft selbstbewusster auftreten. Der Ausnahmezustand ist beendet, Normalisierung angesagt, die schwarz-blaue Koalition europäisch sanktioniert. Andererseits wäre sie gut beraten, ihren wirtschaftlichen und sozialen Reformkurs auch auf andere Bereiche auszudehnen: endlich eine zeitgemäße Medienpolitik zu betreiben und in der Kulturpolitik die Vielfalt nicht auf Einfalt zurückzuschalten.

Die FPÖ wiederum müsste aufhören, Kritik an Österreich nur dann zu akzeptieren wenn sie vom eigenen Exobmann kommt und jede Attacke von künstlerischer Seite als Nestbeschmutzung und Hochverrat zu diffamieren. Vor allem aber gilt es, nicht nur aufseiten der Freiheitlichen selbst, bei der Beurteilung der totalitären Vergangenheit mit falscher Toleranz zu agieren. Rhetorische Allianzen mit der Nazi-Zeit sollten ausgeschlossen und nicht (wie das öfter durch die Vizekanzlerin geschieht) weggeredet werden. Der freiheitliche Klubobmann sollte sich vor allem dafür einsetzen, dass genau dieser Spuk ein Ende hat.

Denn eines bleibt - und das bedeutet harte Arbeit: Österreich wird als eines der Geburtsländer des Nationalsozialismus strenger beurteilt als andere. Und außerdem im europäischen Machtgefüge manchmal angegriffen, wenn der Mächtigere, nämlich Deutschland, gemeint ist. Wir können das korrigieren, indem wir die Demokratie stärken, anstatt sie einzuschränken, und die Totalitarismus-Kritik fördern, anstatt deren Verfechter zu attackieren.

Der Bericht der Weisen enthält aber auch Vorschläge an die Adresse Brüssels. Sie regen eine Neufassung des Artikels 7 des Amsterdamer Vertrags an, um ein Vorwarnsystem zu schaffen und - abgestufte - Sanktionen nur als letztes Mittel vorzusehen. Eine eigene Behörde und ein eigener Kommissar für die Menschenrechte könnten, was als Reaktion auf die Sanktionen verlangt wurde: auch andere EU-Mitglieder zu evaluieren und "Maastricht-Kriterien" für Demokratie-Reife und Rechtsstaatlichkeit zu erarbeiten. Ob das die Großen in Europa wirklich wollen?
Aus: Der Standard, 09.09.2000

Kommentar 4:

Auftrag erfüllt
Die drei Weisen haben getan, was von ihnen erwartet wurde. Ihr Bericht über das Verhalten der österreichischen Regierung und die Entwicklung der FPÖ macht genau, was er sollte: Er stellt der Regierung aus ÖVP und FPÖ einen Persilschein aus, fordert insofern eine Aufhebung der Sanktionen der 14 EU-Staaten, formuliert aber genügend Bedenken gegenüber der FPÖ, um die EU-Staatschefs nicht als völlig deppert dastehen zu lassen.

Damit zeigt der Bericht auf, was er aufzeigen sollte: einen Ausweg. Denn die europäischen Regierungen hatten eigentlich schon recht bald bemerkt, dass der Sanktionsbeschluss, rund um den Helsinki-Gipfel im Februar übereilt getroffen, nicht nur ein politischer und juristischer Grenzfall in der Geschichte der europäischen Einigung war, sondern auch kompletter Unsinn. Die Sanktionen, die im Wesentlichen auf unhöfliches Verhalten bei EU-Gipfelveranstaltungen hinausliefen, stärkten nicht den Widerstand gegen die Regierung in Österreich, sie erreichten eher das Gegenteil. Als die österreichische Regierung dann auch noch dazu überging, recht offen mit der Ausnutzung des Vetorechtes zu drohen, musste dringend eine Lösung gefunden werden. Der Bericht der drei Weisen erzählt niemandem Neues, beschreibt lediglich Bekanntes und bestätigt Vermutetes. Er konnte auch gar nichts anderes tun: Selbst die hartnäckigsten Gegner der Haider-Partei richteten ihre Kritik vor allem gegen den Diskurs der rechtspopulistischen Politiker, nicht gegen konkrete Handlungen. Insofern konnte eine - vor allem juristische - Überprüfung der Regierungspolitik unmöglich zu anderen Schlüssen kommen, als dass die Sanktionen aufzuheben sind.

Die europäischen 14 brauchten ein Gremium mit moralischer und politischer Autorität, um zu dokumentieren, was niemand ernsthaft bezweifelte. Europäische Politiker werden jetzt mit erhobenem Zeigefinger versichern, die Entwicklung der FPÖ weiter kritisch zu beobachten - leeres Geblubber. Die europäischen Mitgliedsländer, denen durch den Weisenbericht implizit bescheinigt wird, wesentlich fremdenfeindlicher zu sein als Österreich, werden sich hüten, sich noch einmal so weit hervorzuwagen.
BERND PICKERT
Aus: taz, 09.09.2000

Kommentar 5

Wieder salonfähig
Es war leicht vorherzusehen, mit welchen Erkenntnissen die drei Weisen von ihrer Reise durch Österreich zurückkommen würden. Nun ja, die FPÖ hat eine Neigung, auf den Knochen von Ausländern Wahlkämpfe auszufechten, und radikale Elemente gibt es bei den so genannten Freiheitlichen auch. Aber die Regierung in Wien, die hält sich penibel an den europäischen Wertekanon. Um das zu wissen, brauchten wir keine Expedition an die Donau. Der Bericht der Weisen dient nur einem Zweck: den vierzehn Regierungen Deckung zu geben, die den EU-Partner Österreich mit zwischenstaatlicherdiplomatischer Eiszeit straften, um ein Signal gegen das Hereinlassen von Parteien vom Schlage der Haider-FPÖ in den politischen Salon der europäischen Demokratien zu setzen, und die jetzt einen Ausweg aus diesem Konflikt suchen, der ihnen lästig geworden ist. Politisch ist das nicht.

Wenn die Regierungen von den Sanktionen herunterwollen, dann sollen sie das geradeheraus sagen. Schließlich war der Beschlus von Anfang des Jahres richtig, weil er in seinem doch sehr moderaten Zuschnitt deutlich machte, dass man die Wahlentscheidung der Österreicher respektiert, dass sich dieser Respekt aber nicht automatisch auf jeden überträgt, der dadurch in die Regierung gelangt. Haider bleibt eben auch gewählt Haider. Die öseterreichischen Christdemokraten der ÖVP haben die FPÖ in Wien salonfähig gemacht. Geschieht das nun auch auf Ebene der EU, weil sich die anderen Regierungen vor ihrem igenen Mut davonschleichen, dann können die Haiders und Berlusconis dieser Welt sich freuen.
Aus: Frankfurter Rundschau, 09.09.2000

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