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Gesetze gegen Geld

Österreichs ehemaliger Innenminister in "Cash for Laws"-Affäre angeklagt

Von Simon Loidl *

In Österreich rollt der nächste Korruptionsprozeß an. Bereits seit Mitte Juli müssen sich Politiker mehrerer Parteien des Bundeslandes Kärnten in einem umfangreichen Verfahren wegen Amtsmißbrauch und illegaler Parteienfinanzierung verantworten (siehe jW vom 26.7.2012). Am Donnerstag wurde nun gegen den ehemaligen Inneminister und früheren Delegationsleiter der christlichsozialen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) im Europäischen Parlament, Ernst Strasser, Anklage erhoben. Ihm wird Bestechlichkeit vorgeworfen, bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu zehn Jahre Haft.

Im März 2011 war bekanntgeworden, daß zwei als Lobbyisten getarnte Journalisten der britischen Sunday Times an 60 Abgeordnete des EU-Parlaments herangetreten waren und diesen hohe Geldsummen für Gesetzesänderungen angeboten hatten. Neben dem Österreicher zeigten sich Adrian Severin von der rumänischen Sozialdemokratischen Partei (PSD) und Zoran Thaler von den slowenischen Sozialdemokraten (SD) interessiert. Der Fall wurde als »Cash for Laws«-Affäre bekannt.

Die Sunday Times berichtete damals, daß Strasser zwischen Dezember 2010 und März 2011 mehrmals mit den beiden Journalisten zusammengetroffen war. Der damalige EU-Parlamentarier habe ausführlich erläutert, wie gegen Bezahlung Gesetzesänderungen auf EU-Ebene veranlaßt werden können. Die Journalisten hatten die Gespräche mit versteckter Kamera gefilmt. Auf den Bändern ist der österreichische Politiker zu sehen, wie er in gebrochenem Englisch seine Einkünfte als »Lobbyist« im Europaparlament erläutert. »Meine Klienten zahlen mir 100000 Euro jährlich«, so Strasser auf dem Video. »Derzeit habe ich fünf, ab morgen hoffentlich sechs Klienten. Sie sind da noch nicht mitgerechnet. Sie sind der siebente.«

Anfang dieser Woche veröffentlichte die österreichische Tageszeitung Kurier weitere Auszüge aus den Protokollen, die über die mutmaßliche Bestechlichkeit Strassers hinaus Einblicke in dessen Arbeitsweise gewähren. Der Politiker erklärte den beiden Journalisten, daß man bei einer Intervention auf höchster Ebene schon mal »den Verantwortlichen in der Kommission für ein Wochenende nach Portugal« oder »nach Wimbledon« einlade. Auf die Frage, an wen man sich für die konkrete Umsetzung eines Anliegens zu wenden haben, gesteht er: »Die meisten Parlamentarier sind so faul wie ich, die ganze Arbeit machen die Mitarbeiter.«

Nach Veröffentlichung der Gespräche behauptete Strasser, seinerseits mit falschen Karten gespielt zu haben. Er habe hinter dem Angebot die Aktion eines Geheimdienstes vermutet. Den Vorschlag der beiden vermeintlichen Lobbyisten – Änderungen bei Richtlinien im Finanzsektor und zum Anlegerschutz – habe er nur deshalb weitergeleitet, weil er herausfinden wollte, wer hinter der »Verschwörung« stecke. Nicht einmal Strassers Parteikollegen nahmen ihm diese Erklärung ab. Der damalige österreichische Vizekanzler und ÖVP-Chef Josef Pröll verlangte Strassers sofortigen Rücktritt. Dieser selbst sprach auch danach noch von einer »Kampagne« gegen ihn. Sein Amt habe er nur deshalb niedergelegt, um seiner Partei nicht zu schaden.

Das Europäische Parlament und das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) leiteten noch im März 2011 Untersuchungen gegen Strasser, Severin und Thaler ein. In Österreich begann die Korruptionsstaatsanwaltschaft mit ihren Ermittlungen, die nun zu der Anklage führten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 11. August 2012

Zitiert: Unter Blinden ist der Einäugige König

(...) Bis heute findet man in Wien zahlreiche Kärntner, die ihre Heimat verlassen haben, weil sie das geistige und politische Klima dort nicht aushielten.
Dabei ist Österreichs südlichstes Bundesland eine in vieler Hinsicht gesegnete Gegend. Nicht nur die Landschaft ist schön, auch der Menschenschlag ist schöner als im übrigen Bundesgebiet. Und was die künstlerischen Talente angeht, so sind sie im kleinen Kärnten dichter gesät als anderswo. Robert Musil, Ingeborg Bachmann, Christine Lavant, Peter Handke bei den Schriftstellern, Franz Wiegele, Anton Kolig, Herbert Böckl, Maria Lassnig bei den Malern. Nur bei der politischen Führungsschicht ist das Niveau seit Jahr und Tag unter aller Kritik. Auch mit ein Grund, warum Jörg Haider in seiner Wahlheimat wie ein leibhaftiger Messias verehrt wurde. Unter Blinden ist der Einäugige König.


Aus eine Kolumne von Barbara Coudenhove-Kalergi, in: DER STANDARD, 9.8.2012.




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