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Fremdenfeindlichkeit und Rassismus gehören zum Alltag in Österreich

Für die schwarz-braune Regierungskoalition in Österreich kommt die rechtsextreme Gewaltwelle in Deutschland wie gerufen. Gerade nach dem Besuch der "drei Weisen", die sich im Auftrag der EU in der Alpenrepublik umsehen sollten, hört und liest man manch hämischen Kommentar, in dem auf die gespenstischen Vorfälle in Deutschland hingewiesen und von der eigenen Rechtslastigkeit abgelenkt werden soll. Doch allem Anschein nach sind Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Österreich schon länger in der politischen "Mitte" angekommen als in der Bundesrepublik Deutschland. Die illustriert ein Bericht aus Wien, den wir der Frankfurter Rundschau entnommen haben.

Die Hetze wird salonfähig

In Österreich kommt Rechtsextremismus nicht so gewalttätig daher wie in Deutschland - aber dafür umso offener
Von Ulrich Glauber (Wien)

Feuerwehreinsatz in der Wiener Josefstadt: Die Fahrbahn vor der Brandstelle ist abgesperrt, der gegenüberliegende Gehweg frei. Brav steigt der Radl-Fahrer ab und steuert die Lücke an, um sich den Umweg um zwei Häuserblocks zu ersparen. "Für Sie ist hier gesperrt", herrscht ihn ein Motorradpolizist von weitem an. Als der Fahrradfahrer weitergeht, sprintet der Uniformierte heran und reißt den Mann brutal am Arm zurück. Die blauen Flecken sind noch Tage später zu sehen.

Wird der Unterschied zwischen Obrigkeit und Untertan schon Weißen mittleren Alters von Wiener Polizisten drastisch demonstriert, sollten sich vor allem Farbige am Sitz der Vereinten Nationen (UN) und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) vor dem Arm des Gesetzes hüten. Unter dem Vorwand "Alle Neger sind Drogendealer" kommt es immer wieder zu Übergriffen. Rassistische Beschimpfungen sind dabei noch die milderen Vergehen der Polizisten. Erst jüngst endete die Ausweiskontrolle für einen 17-jährigen Afghanen wieder mit Würgemalen und Blutergüssen. "Die Selbstreinigungspolitik in der Polizei muss funktionieren", mahnt der Wiener Polizeipräsident Werner Stiedl.

Seit zwei Jahrzehnten lebt die Französin Jacqueline B. mit ihrem österreichischen Mann im Wiener Villenviertel Hietzing. "Was früher hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde, traut man sich jetzt wieder offen zu äußern", glaubt die 58-Jährige seit dem Antritt der Koalition von konservativer Volkspartei (ÖVP) und rechtspopulistischen "Freiheitlichen" (FPÖ) beobachtet zu haben. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass Hetze gegen Fremde in Österreich salonfähig geworden ist - allerdings nicht erst seit der Amtsübernahme der FPÖ-Minister. Eine Häufung psychischer Störungen stellte eine Studie der Uni Wien bei türkischen Jugendlichen fest, weil sie "fast täglich" ausländerfeindlichen Beschimpfungen ausgesetzt seien. Die polnische Botschafterin Irena Lipowicz führt Beschwerde darüber, dass ihre Landsleute "seit drei, vier Jahren" immer respektloser behandelt würden. "Ein hoch bezahlter Manager ist bei der Einreise von einem österreichischen Grenzbeamten geduzt und gefragt worden, wo er denn seinen Mercedes gestohlen habe."

Dabei hatten die Sanktionen der 14 Länder der Europäischen Union (EU) gegen das Rechtsaußen-Kabinett in Wien offensichtlich noch positive Auswirkungen. Nicht nur ein außerparteiliches Netzwerk von Regierungskritikern wurde aktiviert. Unter internationaler Beobachtung vollbrachte die neue Koalition binnen kurzem, was die Sozialdemokraten (SPÖ) als stärkste Regierungspartei lange nicht durchgesetzt hatten. Das ÖVP/FPÖ-Bündnis verabschiedete blitzschnell das Gesetz zur Entschädigung ehemaliger Sklavenarbeiter in der Nazi-"Ostmark". Im Burgenland wurde das lange verbriefte Recht der kroatischen Volksgruppe auf zweisprachige Ortstafeln endlich auch umgesetzt. Rechtspopulist Jörg Haider hat nach seinem Rückzug nach Kärnten den dortigen Slowenen sogar einen ständigen Vertreter im Landesparlament zugebilligt. In dieser Situation haben es die - kurios genug - als "drei Weise" bezeichneten Menschenrechtsgutachter der EU nicht leicht. Zu Recht haben der finnische Sozialdemokrat Martti Ahtisaari, der spanische Konservative Marcelino Oreja und der deutsche Völkerrechtsexperte Jochen Frowein nicht mit dem "einfachen Parteimitglied" Haider in Klagenfurt gesprochen. Gegenwärtig versucht der Kärtner Landeshauptmann - wie jüngst bei einem protestumtobten Besuch in Venedig - internationale PR für sein Bundesland zu machen. Dabei lässt er sich gleichzeitig von Rechtsaußen-Gruppierungen wie der Lega Nord im benachbarten Italien feiern. Haider mache Kärnten zum "Aufmarschgebiet der Rechten", meinen die österreichischen Grünen. Nach vollzogenem Schulterschluss kann der FPÖ-Drahtzieher immer noch als Achwalter der Fundamentalopposition wieder in die Bundespolitik zurückkehren.

Bewerten sollen die drei Weisen aus dem Euroland jedoch vor allem das "Wesen der FPÖ" - und da ist Haider nicht allein. Die konservative ÖVP stellt den Koalitionspartner aus durchsichtigen Gründen als von Grund auf gewandeltes Muster an Verantwortungsbewusstsein und Reformbereitschaft dar. Immer wieder lassen FPÖ-Politiker jedoch Reminiszensen an den braunen Sumpf aufleben, in dem die "Freiheitliche Partei" mit ihren Ursprüngen in einer Sammelbewegung österreichischer Nazis wurzelt. Da entschuldigt die Sozialministerin und Schlossbesitzerin Elisabeth Sickl die vorübergehende Mitgliedschaft ihres Sohnes in einer rechtsextremen Studentenverbindung als "Jugendsünde". Da schwört ein FPÖ-Landespolitiker die Gefolgschaft auf das SS-Motto "Unsere Ehre heißt Treue" ein. Und an Volksverhetzung grenzt, was die Wiener FPÖ sich in ihrem letzten Wahlkampf geleistet hat. "Wussten Sie schon, dass in Wien schwarzafrikanische Asylbewerber im Designeranzug ungehindert ihren Drogengeschäften nachgehen?", oder "ausländische im Gegensatz zu heimischen Jugendlichen Gratiskarten für ein Fitness-Studio erhalten?", hieß es in dummdreister Verzerrung in der FPÖ-Kampagne gegen eine "Überfremdung" Wiens.

Ein Glaskinn haben die im Austeilen starken FPÖ-Politiker allerdings bei Gegenangriffen ihrer Gegner. Kritiker ihrer Hetzkampagnen werden gnadenlos verklagt. Das bekam unter anderen der renommierte Innsbrucker Politologe Anton Pelinka zu spüren. Er hatte Haider in einem Interview mit dem US-Fernsehsender CNN vorgeworfen, mit der Charakterisierung von Zuwanderern als "Parasiten" Ressentiments nach Nazi-Vorbild zu bedienen. Vor den Kadi wurde mit derzeit unbestimmtem Ausgang auch das ZDF gezerrt, weil Haider im Magazin Frontal als "politischer Gauner" bezeichnet worden war. Ist der Rechtsweg ausgeschlossen, werden wirtschaftliche Daumenschrauben ausprobiert: Wegen unliebsamer Berichterstattung der Kleinen Zeitung rief die FPÖ zum Boykott des Regionalblattes für die Steiermark und Kärnten auf.

Die Gewalttätigkeit der deutschen Neonazis ist in der rechtsextremen Szene Österreichs allerdings nicht zu beobachten. Im ersten Halbjahr 2000 wurden zwar um die Hälfte mehr rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Vorfälle angezeigt als in den ersten sechs Monaten 1999. Das von der ÖVP geführte Innenministerium in Wien geht aber davon aus, dass dieser Anstieg auf gestiegene Sensibilität der Bevölkerung zurückzuführen ist. Zudem gehe es dabei in aller Regel nicht um körperliche Angriffe auf Leib und Leben von Ausländern, sondern um rechtsextreme Propaganda. "Kommt jetzt ein Weisenrat der EU für Deutschland?", fragte die konservative Wiener Tageszeitung Die Presse wegen dieser Unterschiede hämisch an.

"In Deutschland herrscht breitester Konsens quer durch das Parteinspektrum, dass rechtsaußen politische Tabuzone ist. Hingegen ist in Österreich das Spiel mit dem Feuer, etwa in Form ungenierter Ausländerhetze, Teil des offiziellen politischen Angebots", argumentierte allerdings Gastkommentator Gerhard Marschall in der Presse. Der Journalist hat so seine Erfahrungen mit der neuen Stimmung im Land gemacht. Unter dem Druck des Verlegers hat er die Redaktion der Linzer Oberösterreichischen Nachrichten verlassen, weil er nicht beflissen genug über die neuen Machthaber in Österreich berichtet hatte.
Aus: Frankfurter Rundschau, 18.08.2000

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