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Schelte wegen Staatsbesuch

Rußlands Präsident Wladimir Putin zu Gast in Wien. Österreichische Politiker weisen EU-Kritik zurück

Von Simon Loidl, Wien *

Am Dienstag ist der russische Präsident Wladimir Putin zu einem offiziellen Staatsbesuch nach Österreich gekommen. Am Nachmittag wurde Putin mit militärischen Ehren begrüßt, anschließend standen Gespräche mit Österreichs Präsident Heinz Fischer und Bundeskanzler Werner Faymann (SPÖ), die Unterzeichnung kleinerer bilateraler Abkommen, eine Rede in der Wirtschaftskammer sowie eine Kranzniederlegung am Ehrenmal der Roten Armee auf dem Programm. Aufsehen erregte die Meldung, daß es im Zuge des Besuchs Putins auch zu einer Unterzeichnung beim Pipelineprojekt »South Stream« kommen sollte. Mit dem Bau der Pipeline, an dem neben Rußland Unternehmen aus mehreren südosteuropäischen Ländern beteiligt sind, soll künftig Gas durch das Schwarze Meer nach Bulgarien, Serbien, Griechenland oder Österreich transportiert werden können. Im Zuge der Ukraine-Krise wurde das Projekt seitens der Europäischen Union auf Eis gelegt – Bulgarien will jedoch an dem Bau der Pipeline festhalten. Österreichische Medien berichteten nun, daß auch die Österreichische Mineralölverwaltung weitere Schritte in Richtung einer Realisierung der Pipeline machen will und während des Besuchs Putins ein Vertrag über den Bau des österreichischen Abschnitts der Pipeline unterzeichnet werden soll.

Von mehreren EU-Politikern wurde die Einladung Putins nach Wien heftig kritisiert. Bei dem Treffen der Außenminister der Union in Luxemburg am Montag sprach etwa der schwedische Außenminister Carl Bildt davon, daß Putin versuchen würde, die EU zu »spalten«. Ähnlich äußerte sich sein litauischer Kollege Linas Linkevi­cius. In ungewohnter Einigkeit wiesen Vertreter der beiden österreichischen Koalitionsparteien die Kritik an dem Treffen zurück. Außenminister Sebastian Kurz von der konservativen Volkspartei (ÖVP) verteidigte das Ansinnen, vor dem Hintergrund des Konflikts in der Ostukraine den Dialog weiterzuführen. Auch Kanzler Faymann sprach am Montag davon, daß eine »fortgesetzte Gesprächsbereitschaft« der einzig mögliche Weg in der derzeitigen Situation sei. Bundespräsident Fischer sagte gegenüber dem Österreichischen Rundfunk (ORF), es sei gerade in schwierigen Zeiten wichtig und klug, Position zu beziehen, aber gleichzeitig auf Dialog zu setzen.

Oppositionspolitiker und Medien hingegen kritisierten den österreichischen Versuch, eigenständige diplomatische Akzente zu setzen. In einer Sendung sagte die Vorsitzende der Grünen, Eva Glawischnig, etwa, es sei »befremdlich«, daß Putin »zwar eine Rede in der Wirtschaftskammer hält, aber den Abgeordneten im Parlament zu einer Aussprache nicht zur Verfügung steht«. In der derzeitigen Situation müsse es darum gehen »Friedenswege zu eröffnen, statt Gaspipelines zu forcieren«, so die Grünen-Chefin. Der außenpolitische Sprecher der liberalen Partei NEOS, Christoph Vavrik, zeigte sich hin- und hergerissen zwischen dem wirtschaftsfreundlichen Kurs und den bedingungslosen Pro-EU-Positionen seiner Partei. Zwar begrüßt NEOS das Pipelineprojekt »aus der Sicht des Wirtschaftsstandorts«, so Vavrik in einer Sendung, eine »Unterzeichnung zum jetzigen Zeitpunkt ist aber ein katastrophales Signal mangelnder Einigkeit in Europa«. Die rechtsextremen Freiheitlichen (FPÖ) hingegen begrüßten den Besuch des russischen Präsidenten.

Die meisten Kommentatoren in österreichischen Medien versuchten sich während der vergangenen Tage gegenseitig in ihrer Kritik an dem »umstrittenen« Besuch zu übertreffen. Die Unterzeichnung des »South Stream«-Abkommens hieße, »dem Kriegsherrn Putin einen politischen Erfolg« zu bescheren, so die Tageszeitung Der Standard. »Putin bekommt, was er will«, faßte eine ORF-Kommentatorin den Staatsbesuch am Dienstag zusammen. Zwar seien Gespräche »immer gut«, so die Kommentatorin, jedoch müßten die österreichischen Politiker »harte Worte« über »Rußlands Vorgehen« in der Ostukraine finden.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 25. Juni 2014


Putins zu Gast in Wien

Ein Versuch zur Herstellung von Normalität

Von Hannes Hofbauer, Wien **


Ganze sieben Stunden hatte der russische Präsident Wladimir Putin für seinen Wien-Besuch am Dienstag eingeplant. Er war auf – eine bereits alte – Einladung von Bundespräsident Heinz Fischer in die Stadt an der Donau gekommen. Parallel dazu unterschrieben Gasprom-Chef Alexej Miller und OMV-Boss Gerhard Roiss einen Vertrag über den Ausbau der Gasleitung »South Stream« bis vor die Tore Wiens.

Die Botschaft der USA kritisierte den Empfang Putins in der Hofburg heftig, der schwedische Außenminister Carl Bildt schäumte, eine kleine Gruppe von österreichischen Schwulen demonstrierte säuberlich getrennt von zwei Dutzend Ukrainern gegen ihren politischen Gottseibeiuns. Ansonsten blieb die Wienerstadt an diesem Tag ruhig; und rund um das Heldendenkmal der Roten Armee am Schwarzenbergplatz konnten Neugierige auf Tuchfühlung mit Russlands erstem Mann gehen, als er dort, nur von einer Handvoll Leibwächter beschützt, einen Kranz niederlegte.

Es war der zarte Versuch einer gegenüber Brüssel und Washington eigenständigen österreichischen Außenpolitik, wie er schon jahrelang nicht mehr beobachtet werden konnte. Dahinter stand nicht zufällig der erfahrene Heinz Fischer, einer der letzten Nicht-Atlantiker der österreichischen Sozialdemokratie. Allein seine Botschaft anlässlich einer gemeinsamen Pressekonferenz, bei der er neben Moskau ausdrücklich auch Kiew in die Pflicht nahm, um die Krise im Osten der Ukraine zu lösen, hat über den protokollarischen Effekt hinaus Putins Kurzvisite gerechtfertigt. Fischers Aufforderung an den zufällig zur selben Zeit in Wien weilenden ukrainischen Außenminister Pawlo Klimkin, mit den Sezessionisten im Osten zu reden, sollte EU-weit selbstverständlich sein. Die Chemie zwischen dem österreichischen und dem russischen Staatsoberhaupt stimmte sichtlich.

Von geopolitischer Bedeutung war dann auch die Unterzeichnung des Vertrages zwischen Gasprom und der teilverstaatlichten österreichischen OMV über die Errichtung der die Ukraine umgehenden und durch das Schwarze Meer führenden Erdgasleitung »South Stream«. Die Botschaft kam an: Just zu dem Zeitpunkt, an dem Bulgarien den Ausbau auf Druck Brüssels stoppte, garantiert Österreich, seinen Anteil von 50 Kilometern zum Gasspeicher Baumgarten bis 2016 fertigzustellen. Die Energiekooperation zwischen Wien und Moskau reicht im Übrigen bis ins Jahr 1968 zurück, als die Leitung »Drushba« erstmals westlichen Boden berührte.

Die Unterschrift war noch nicht trocken, als eine Sprecherin von EU-Energiekommissar Günter Oettinger die OMV an die Einhaltung des sogenannten »Dritten Energiepakets« erinnerte, wonach Leitungen nicht von jenem Unternehmen besessen werden dürfen, das die Energie liefert. Diese gegen Gasprom und also Moskau gerichtete Vorgabe wird bei der Verwirklichung des Projekts »South Stream« noch manche Probleme bereiten.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 26. Juni 2014


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