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Lautes Schweigen

Bangladesch: Tausende demonstrieren für Bestrafung von Kriegsverbrechern. Trauma des Massenmords von 1971

Von Suman Chowdhury *

Tausende Menschen haben am Dienstag in Bangladesch mit dreiminütigem Schweigen die Hinrichtung von Kriegsverbrechern gefordert. Es war der bisherige Höhepunkt einer seit mehr als einer Woche anhaltenden Massenbewegung. Sie war spontan als Reaktion auf eine von vielen als »zu milde« empfundene lebenslange Haftstrafe für einen Verantwortlichen der Massenmorde während des Unabhängigkeitskrieges im damaligen Ostpakistan 1971 entstanden. »Ab 16 Uhr war der Nachmittag für drei Minuten kein Nachmittag mehr, sondern wurde Teil der Geschichte«, kommentierte die Tageszeitung The Daily Star am Mittwoch die Großkundgebung.

Die Proteste haben die für das ost­asiatische Land traumatischen Ereignisse von vor über 40 Jahren wieder in das Bewußtsein der Menschen gehoben. Im Jahr 1971 spaltete sich Bangladesch von Pakistan ab. Das Militärregime in Islamabad reagierte auf die Sezession des Ostteils mit einem blutigen Rachefeldzug, dem Schätzungen zufolge bis zu drei Millionen Menschen zum Opfer fielen. Dabei konnten die Militärs auf Unterstützung vor allem der islamistischen Parteien Dschamat-e-Islami, Muslimliga und Nizam-e-Islami zählen, die eigene Todesschwadronen bildeten und gezielt Jagd auf Intellektuelle und Akademiker machten.

Schon unmittelbar nach dem Ende des Krieges und der Anerkennung der Unabhängigkeit am 16. Dezember 1971 begannen in Bangladesch Prozesse gegen die Verantwortlichen für den Massenmord, die religiösen Parteien wurden verboten. Nach der Ermordung von Scheich Mujibur Rahman, der als Initiator der Unabhängigkeitsbewegung und der Gründung von Bangladesch galt, stoppte das von den USA unterstützte Militärregime 1975 jedoch die Verfahren und entließ die Kriegsverbrecher aus der Haft. Die religiösen Parteien wurde wieder zugelassen.

Seit dem Ende der Militärherrschaft 1991 fordern große Teile der Bevölkerung, nun endlich die Verfolgung der Verbrechen von 1971 wieder aufzunehmen. Das dafür zuständige Tribunal war bereits 1973 gesetzlich verankert worden, wurde jedoch erst 2009 installiert, als die heutige Ministerpräsidentin Hasina Wajed mit ihrer sozialdemokratisch und säkular orientierten Awami-Liga das bis dahin regierende Bündnis aus der konservativ-nationalistischen BNP und der Dschamat-e-Islami ablösen konnte. In dieser Regierung hatten zwei der heute Angeklagten Ministerposten bekleidet. Seit 2010 wurden bislang zehn mutmaßliche Kriegsverbrecher inhaftiert, von denen acht führende Positionen in der islamistischen Partei bekleidet haben.

Am 5. Februar verurteilte das Kriegsverbrechertribunal in Bangladesch Abdul Quader Mullah zu lebenslanger Haft wegen Kollaboration mit den pakistanischen Truppen während des Krieges und wegen Genozid, Morden und Vergewaltigungen. Viele Menschen in Bangladesch kritisieren das Urteil jedoch als »zu milde«, sie fordern die Todesstrafe. Ihre Befürchtung ist, daß Mullah, der selbst der Dschamat-e-Islami angehört, nach einem künftigen Regierungswechsel wieder aus der Haft entlassen werden könnte.

Seit Anfang vergangener Woche demonstrieren deshalb vor allem junge Aktivisten im Zentrum der Hauptstadt Dhaka gegen das Urteil. Die Studenten und Dozenten der örtlichen Universität sind in einen unbefristeten Streik getreten. Dabei achten sie darauf, nicht von Politikern der großen Parteien vereinnahmt zu werden. Die Jugendlichen, die den Unabhängigkeitskrieg selbst nicht erlebt haben, fordern zudem ein Verbot der Dschamat-e-Islami. Inzwischen hat sich auch Ministerpräsidentin Wajed mit den Demonstranten solidarisiert und sich für eine Gesetzesänderung ausgesprochen, damit die Regierung Einspruch gegen solche Urteile einlegen kann. Bislang können nur die Verurteilten das Berufungsgericht anrufen.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 14. Februar 2013


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