Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sonnige Vorhölle

Doppelt unfrei: Die Arbeiter der bengalischen Abwrack-Industrie sind die Helden eines neuen Dokumentarfilms

Von Jana Frielinghaus *

Der doppelt freie Lohnarbeiter wurde von Marx so genannt, weil er nach dem großen Bauernlegen im England des 17. Jahrhunderts frei von jedem Landbesitz und dem sonstiger Produktionsmittel war -- und frei, sich unter Tausenden Ausbeutern einen zu wählen. Die Bauern im Norden von Bangladesch leben heute im tiefsten Manchester-Kapitalismus -- aber ohne die dazugehörige »Freiheit«. Von ihrem Land können sie infolge von Wetterunbilden nicht mehr leben, aber es ist das einzige, was sie überhaupt haben. So ziehen sie jedes Jahr für mehrere Monate in den industrialisierten Süden, um die alleinige Zuverdienstmöglichkeit zu nutzen, die ihnen offensteht: Für einen Hungerlohn zerlegen sie unter der heißen Sonne am Strand von Chittagong schrottreife Tanker in transportable Platten. Deshalb sagen die Leute »Eisenfresser« zu ihnen. Shaheen Dill-Riaz hat seinen neuen Film nach ihnen benannt.

Es ist eine bildgewaltige Parabel auf den globalisierten Kapitalismus geworden. Dill-Riaz, Jahrgang 1969, ist in Bangladesch geboren und aufgewachsen und hat seinen Beruf in Deutschland gelernt. Sein Heimatdorf liegt in unmittelbarer Nähe einer Abwrackwerft, doch das Gelände durfte kein Werksfremder betreten. Also hat er sich vorgenommen, das Geheimnis darum zu lüften. Und bekam nach zähen Verhandlungen eine Drehgenehmigung. »Ich mußte die Verantwortlichen überzeugen, daß ich keinen Film über Umweltverschmutzung machen wollte«, berichtet Dill-Riaz. Auch das illustriert den Zustand der Welt: Schlechte Arbeitsbedingungen sind international viel seltener ein Skandalthema als Umweltsünden. Von den Folgen der letzteren ist schließlich auch der Westen schneller betroffen.

Das Filmteam verbrachte fünf Monate auf der PHP-Werft bei Chittagong. PHP steht für »Peace, Happiness and Prosperity«, Frieden, Glück und Wohlstand. Filmauftritt Mohammad Mizanur Rahmans, Begründer des Unternehmens: Er entsteigt einem von zwei chromblitzenden Jeeps, Menschen umringen ihn, berühren seine Füße. Er ist tatsächlich sicher, Tausende glücklich gemacht zu haben. Szenenwechsel: Einer der Arbeiter kehrt heim in sein Dorf, nimmt seinen kleinen Sohn in den Arm, sagt: »Ich hab' dir nichts mitgebracht« -- und wird von unbezwingbarem Schluchzen geschüttelt. Nichts ist ihm für die Familie geblieben, der Lohn für die lebensgefährliche Schufterei auf der Werft hat gerade zum Begleichen der Kosten für das eigene Überleben gereicht: umgerechnet 1,30 US-Dollar pro Tag. Eine andere Szene: Vorarbeiter Kholil reist ab. Die Kamera verweilt lange auf dem Gesicht seiner Mutter, in ihren Augen blanke Angst.

Die ist nur zu berechtigt. Auf der Werft wird geschweißt, was das Zeug hält. Regelmäßig kommt es zu Bränden und Explosionen, wenn sich Altöl entzündet oder einfach nur giftige Gase entweichen. Gigantische Schiffsaufbauten stürzen bei der Zerlegung in die Tiefe. Stahltrossen, mit denen Wrackteile an Land gezogen werden, reißen immer wieder mit lautem Knall.

Dill-Riaz und seine Kollegen haben sich den Männern buchstäblich an die Fersen geheftet. Sie sind ihnen durch den knietiefen, stinkenden grauen Schlick zu den Tankerruinen gefolgt, hinein in den schwarzbraunen Bauch des Schiffes. Die meisten Arbeiter sind barfuß inmitten scharfkantigen Schrotts. Immerhin, die Schweißer haben Stiefel an. Sie sind Einheimische aus dem Süden, privilegiert gegenüber den Bauern, die »nur« als Seilschlepper und vielleicht noch als Plattenträger arbeiten dürfen, wenn sie lange genug darum bitten. Die tonnenschweren Platten sind noch heiß vom Schweißen, wenn sie von zehn, zwölf, vierzehn Männern auf Lkw gewuchtet werden. Sie singen dabei wie die Kettensklaven in den Südstaaten im 19.Jahrhundert -- Vorsänger und Chorus im Wechsel. Rhythmusgefühl als notwendiges Arbeitsmittel, um nicht zu stürzen, um nicht draufzugehen.

Abends diskutieren die Arbeiter ihre Alternativen. Ein junger Mann will das nächste Mal klüger sein und sich mit Gänsemast ein Zubrot verdienen. Daß das klappen könnte, glaubt ihm nicht mal der 15jährige Kollege, der nach dem Tod des Vaters seine Familie ernähren muß. Einer sagt: »Entweder du wirfst dich vor den Zug, oder du machst hier weiter«.

Für die Besitzer der Werften ist das Recycling ein Millionengeschäft, auch weil an technischer Ausstattung und Löhnen gespart wird. Die Werften decken 80 Prozent des Stahlbedarfs der Bauindustrie in Bangladesch. Und sie entsorgen billig die ausgedienten Tanker der Industrieländer. Die Reeder der westlichen Welt müssen sich so nicht selbst darum kümmern.

»Eisenfresser«, Regie: Shaheen Dill-Riaz, BRD 2007, 85 min, am Donnerstag in einigen Programmkinos angelaufen (Orte und Zeiten unter eisenfresser-film.de)
Infos zu Möglichkeiten, den Film ins Kino am Heimatort zu holen oder an einer Schule zu zeigen über die Entwicklungshilfeorganisation NETZ e.V., Tel. 06441/26585 (Gisela Bhatti, bhatti@bangladesch.org) bzw. im Internet unter www.bangladesch.org

* Aus: junge Welt, 13. Juni 2008


Zurück zur Bangladesch-Seite

Zurück zur Homepage