Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Lichtblicke in Dhaka

Nach Einsturz des Rana Plaza: Zwei Dutzend internationale Konzerne bisher Abkommen für mehr Sicherheit in Bangladeschs Textilfabriken beigetreten

Von Thomas Berger *

Hungerlöhne, Ausbeutung, Rechtlosigkeit der Beschäftigten – nach dem Einsturz eines Fabrikgebäudes am 24. April geht das Ringen um verbesserte Arbeitsbedingungen und Entlohnung in der Textilindustrie in Bangladesch weiter. Nachdem die Regierung eine Sonderkommission berufen hat, um eine weitere Anhebung des Minilohns für die beinahe vier Millionen Beschäftigten der Branche auf den Weg zu bringen, unterzeichneten Mitte Mai rund zwei Dutzend Konzerne ein von internationalen Gewerkschaftsdachverbänden und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) ausgehandeltes Abkommen für besseren Brandschutz und mehr Arbeitssicherheit in den Betrieben des südasiatischen Landes. Zur Mitarbeit konnten zunächst vor allem Firmen mit Hauptsitz in Europa gewonnen werden. Die drei wichtigsten US-amerikanischen Konzerne machen nicht mit. Ungeachtet umfassender Kritik weigern sich sowohl Walmart, Weltmarktführer beim globalen Handel mit Billigtextilien, als auch Gap und Sears, dem Abkommen beizutreten.

Als erste hatten Tchibo und PVH, Mutterfirma der Modemarken Calvin Klein und Tommy Hilfinger, der Vereinbarung zugestimmt. Aus Europa sind inzwischen bis auf wenige Ausnahmen alle wichtigen Unternehmen an Bord, darunter auch in den zurückliegenden Jahren besonders in die Kritik geratene Billigmarken wie Kik oder Lidl (Deutschland), H&M (Hennes&Mauritz; Schweden), oder Primark (Irland).

Federführend bei der Erarbeitung der auf fünf Jahre fixierten Vereinbarung waren die Gewerkschaftsdachverbände IndustriALL und UNI, die internationale Clean Clothes Campaign (Kampagne für saubere Kleidung; CCC; www.cleanclothes.org) und das Workers Rights Consortium (WRC). Auch die nationalen Gewerkschaften Bangladeschs, die mit den Neuerungen erstmals explizit das Recht auf Präsenz in den Produktionsbetrieben erhalten, haben sich eingebracht. Angestrebt ist, insgesamt 5000 Textilfabriken im Lande mit baulichen Maßnahmen so zu gestalten, daß sie gängigen Sicherheitsstandards genügen. Die Investitionssumme dafür hat WRC auf umgerechnet etwa drei Milliarden US-Dollar (2,3 Milliarden Euro) veranschlagt. Da die einheimischen Firmen dies nicht allein aufbringen können, sollen ihre westlichen Handelspartner hinzugezogen werden. Zudem soll die Umsetzung aller Maßnahmen genau kontrolliert werden. Vor allem dafür wird jeder der beteiligten Konzerne einen Zuschuß von umgerechnet 2,5 Millionen Dollar leisten, eine halbe Million pro Jahr.

Schon lange hatten nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen immer wieder auf die katastrophale Situation in vielen Fabriken verwiesen. Gebäude waren illegal errichtet worden, Brand- oder allgemeiner Arbeitsschutz spielten ebensowenig eine Rolle wie bautechnische Mindeststandards. Zahllose Unfälle oder Katastrophen in der Vergangenheit hatten weder Konzerne noch staatliche Stellen ernsthaft zum Handeln veranlaßt. Erst der Zusammensturz des Rana Plaza in einem Vorort der Hauptstadt Dhaka scheint Politiker und Firmenvorstände aus ihrer Lethargie gerüttelt zu haben.

Das achtstöckige Gebäude war ebenfalls ohne Baugenehmigung entstanden. Trotz bereits aufgetretener Risse hatten die Besitzer der im Haus ansässigen Textilfabriken ihre Näherinnen und Näher weiter zur Arbeit gezwungen. Die Gesamtzahl der Opfer, die nur noch tot aus den Trümmern geborgen werden konnten, ist inzwischen amtlich auf 1127 gestiegen.

Nicht alle der jetzt dem Abkommen beigetretenen Konzerne gehörten zu den unmittelbaren Auftraggebern der Firmen in dem eingestürzten Gebäude. Der Imageschaden für Billigtextilanbieter »Made in Bangladesch« ist aber diesmal so enorm, daß die Konzernchefs zum Handeln gezwungen waren. So machte sich Karl-Johan Persson, Vorstandschef von H&M, medienwirksam für die weitere Anhebung des Mindestlohnes stark. Der liegt offiziellen Angaben zufolge gegenwärtig bei umgerechnet 38 Dollar im Monat – selbst im asiatischen Vergleich ist das extrem niedrig. Billigen Kritiker dem schwedischen Multi noch zu, schon früher Mechanismen vorgeschlagen zu haben, um jährlich eine gewisse Anpassung der Lohnentwicklung an die Preissteigerungen vorzunehmen, mußten andere Konzerne regelrecht genötigt werden, dem Abkommen beizutreten. Viele wünschen sich nichts dringender, als daß mit der Konzentration auf Bausicherheit oder Brandschutz andere für sie unangenehme Themen wie angemessene Entlohnung, Arbeitszeiten und konkrete Arbeitsbedingungen der Näherinnen und Näher ausgespart bleiben. Dies wollen vor allem internationale NGOs verhindern, betonte beispielsweise Frauke Banse, Koordinatorin der Kampagne für saubere Kleidung beim INKOTA-Netzwerk, in einer Erklärung.

Was die bislang noch sturen US-Amerikaner angeht, könnte eventuell noch das Modelabel Gap ins Boot geholt werden. Prinzipiell sei man willig, heißt es dort, man habe aber noch gewisse rechtliche Bedenken. Walmart hingegen ist ein harter Brocken. Der Weltmarktführer verschanzt sich hinter eigenen Initiativen, mit denen Partnerfirmen in Bangladesch zur Erhöhung der Sicherheit veranlaßt und besser kontrolliert werden sollen.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 28. Mai 2013


Zurück zur Bangladesch-Seite

Zurück zur Homepage