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Tage des Zorns

Textilarbeiter in Bangladesch demonstrieren für deutliche Lohnanhebung. BBC-Recherche enthüllt Ausbeutung zugunsten deutscher Konzerne

Von Thomas Berger *

Der Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Entlohnung der Beschäftigten in Bangladeschs Textilindustrie ist in eine neue Runde getreten. Während vor knapp zwei Wochen ein Treffen diverser internationaler Konzerne in Genf nur wenig Greifbares brachte, machen jetzt die Arbeiter in dem südasiatischen Land selbst stärker Druck. Seit dem Wochenende sind die Protestaktionen in der Hauptstadt Dhaka und weiteren Orten eskaliert. Nach tagelangen Unruhen und Streiks hat die Regierung in Bangladesch am Donnerstag Sicherheitskräfte zum Schutz von Textilfabriken entsandt. Seit knapp einer Woche protestieren Arbeiter in der Industriezone Gazipur nahe der Hauptstadt Dhaka. Dabei kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei, Demonstranten verwüsteten mehrere Fabriken. Mindestens 100 Fabriken stehen seit Samstag still. Allein am Montag waren landesweit mehr als 10000 Menschen zu Demonstrationen auf der Straße, die teilweise völlig außer Kontrolle gerieten. Die Tageszeitung Daily Star sprach in ihrer Dienstagausgabe von 150 Verletzten sowie etwa 120 Fahrzeugen, darunter Pkw ebenso wie Busse, die bei den Protesten demoliert wurden. Mehrere Dutzend Fabriken im Großraum Dhaka blieben den Tag über geschlossen, einige nahmen später die Produktion wieder auf.

Hintergrund ist der zugespitzte Konflikt um eine deutliche Anhebung der allgemeingültigen Löhne in der Branche, die zuletzt 2010 auf derzeit 3000 Taka (knapp 30 Euro) festgelegt wurden. Die Firmenbesitzer bieten jetzt gerade einmal 600 Taka mehr, also lediglich 20 Prozent. Gewerkschafter haben hingegen Forderungen nach gut 8000 Taka aufgemacht, was einem Anstieg von etwa 170 Prozent entsprechen würde. Dies wird mit Verweis auf detaillierte Positionen wie Miete, Verpflegung, medizinische Versorgung und andere anfallende Ausgaben der Familien genau begründet. Bis Dezember soll eine vom Staat eingesetzte Sonderkommission den neuen Lohn festlegen. In einer Krisensitzung am Montag kamen Firmenvertreter, Gewerkschafter und Politiker überein, daß die Neuregelung sogar schon auf November vorgezogen werden soll. In der Kernfrage der angemessenen Lohnhöhe gab es zwischen den beiden Konfliktparteien aber weiter keine Annäherung.

Mitglieder der Dachvereinigung der Textilproduzenten nutzten vor Reportern jede sich bietende Gelegenheit, um die Forderungen der Arbeiter als angeblich völlig unrealistisch zu verunglimpfen. Verwiesen wurde darauf, daß von den 4000 Firmen etwa 2200 nur kleine und mittelständische Unternehmen seien, für die in der Folge die Produktionskosten aus dem Ruder laufen würden und die damit nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Auch die Neueinstellung von Arbeitern werde wegfallen, wenn für die derzeitigen Beschäftigten so viel mehr auszugeben sei.

Die Protestierenden hingegen sehen ihre Vorstellungen von den künftigen Löhnen als gerechtfertigt an, zumal bis heute nicht einmal die vor drei Jahren festgeschriebenen 3000 Taka in allen Fabriken gezahlt würden. Rückhalt für ihre Forderungen bringen auch die Ergebnisse einer versteckten Recherche von BBC-Reporter Richard Bilton. Der Journalist hatte es geschafft, sich bei Ha Meem Sportswear unbemerkt in eine Textilfabrik einzuschleichen und dort zu drehen. Insgesamt 19 Stunden dauerte eine Schicht, wurde damit bewiesen. Als er später als vermeintlicher Vertreter einer ausländischen Firma mit Handelsinteressen erneut auftauchte und nach den Arbeitszeiten fragte, wurden ihm von der Betriebsleitung frisierte Listen präsentiert, nach denen bereits um 17 Uhr Schluß sei. Bilton hatte zuvor aber noch nachts um zwei Uhr arbeitende Näherinnen gefilmt, die außerdem in der Halle eingeschlossen waren. Und das nach den Katastrophen, zuletzt im April beim Zusammenbruch des neunstöckigen Gebäudekomplexes »Rana Plaza« am Rande von Dhaka mit über 1100 Toten.

Laut den BBC-Recherchen, die umgehend von einheimischen Medien wie Daily Star oder dem Nachrichtenkanal bdnews24.com aufgegriffen wurden, entstanden die nächtlichen Aufnahmen bei Ha Meem, als gerade für den deutschen Abnehmer Lidl produziert wurde. In einer anderen Fabrik, wo ebenfalls massive Überstunden nachgewiesen wurden, waren »Gap« sowie »H&M« die Auftraggeber. Zwar hatten sich im Mai nach der Rana-Plaza-Katastrophe aufgrund des weltweiten Drucks diverse internationale Konzerne zu einem Abkommen für mehr Arbeitssicherheit in Bangladeschs Textilbranche bereitgefunden. Viel mehr als ein allgemeines Bekenntnis ist dies aber bisher nicht. Die Hauptprofiteure der Ausbeutung Abertausender Näherinnen und Schneider in dem südasiatischen Land weigern sich beharrlich, den Hinterbliebenen und Verletzten der beiden bislang größten Fabrik­unglücke (das im »Rena Plaza« im April 2013 und das vom November 2012 mit 112 Toten) eine Entschädigung zu zahlen. 58 Millionen Euro wollte der internationale Gewerkschaftsbund ­Industri-All dafür zusammenbringen. Doch zu dem Treffen in Genf vor zwei Wochen waren von 29 eingeladenen Konzernen nicht einmal die Hälfte erschienen, eine verbindliche Übereinkunft steht weiter aus.

* Aus: junge Welt, Freitag, 27. September 2013


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