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Der schwierige Kampf um Rechte

Interview zu Arbeitsbedingungen in Bangladesh's Textilindustrie *


Jüngst schloss die IG Metall einen neuen Tarifvertrag für die deutsche Textilindustrie ab. Im letzten Jahr streikten auf der anderen Seite der Welt die Kollegen in Bangladesch und forderten die Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns auf ein existenzsicherndes Niveau. Trotz mehrerer Verhandlungsrunden bleibt ihre Lage weiter schlecht. Khorshed Alam berichtet über die Bedingungen, unter denen die NäherInnen Protest organisieren, über strukturelle Unterschiede und Ähnlichkeiten der Textil-Beschäftigten in Bangladesh und Deutschland sowie über Möglichkeiten und Grenzen transnationaler Solidarität.

ND: Trotz fehlender Gewerkschaften und massiver Repression von Seiten der Polizei protestierten die Näherinnen in den Außenbezirken Dhakas. Wie organisieren sie sich, und was lässt sich in Deutschland davon lernen?

Khorshed Alam: Die Bekleidungsbranche in Bangladesch ist eine semi-formelle Industrie, wobei die Fertigung nicht innerhalb industrialisierter Beziehungen und Arbeitsweisen stattfindet – vieles stammt aus Hand- und Heimarbeit. 80 Prozent der Beschäftigten sind weiblich, sie verfügen kaum über formale Bildung und kommen überwiegend aus dem ländlichen Kontext.

Die Eigentümer der Produktionsanlagen lehnen eine gewerkschaftliche Organisierung ab. Die Regierung handelt zu ihren Gunsten. Die wenigsten Arbeitskräfte wissen über ihre Rechte Bescheid, ihnen wird der Zugang zu ihren Rechten systematisch verweigert. Es existiert ein Rechtssystem in Bangladesch, wird aber im Bekleidungssektor überhaupt nicht umgesetzt. Es gibt auch keine Tarifverhandlungen. Die Arbeiter organisieren sich daher spontan, um ihre Forderungen öffentlich zu machen.

Im Unterschied zu Arbeitskämpfen in Deutschland bestimmen in Bangladesch nicht die gewerkschaftlich etablierten Normen und Praktiken die Handlungsweisen der Arbeiter. Die spontanen Proteste folgen nicht denselben Regeln wie Verhandlungen in Deutschland.

Gibt es strukturelle Ähnlichkeiten zwischen den Arbeitskräften in Bangladesch und Deutschland?

Konzeptionell und ideologisch betrachtet lässt sich die Position der Eigentümer der Produktionsanlagen in Deutschland und Bangladesch vergleichen. Sie stehen beide den Arbeitskräften gegenüber. Hier wie dort lehnen sie Gewerkschaften in der Regel ab und schätzen es nicht, wenn sich die Arbeiter organisieren. Es ist der langen Geschichte der Industrialisierung, den historischen Auseinandersetzungen der Gewerkschaften und der gesetzlich gewährten Organisierungsfreiheit in Deutschland zu verdanken, dass die Bewegungen der Arbeiter und ihr Protest in Deutschland nicht die gleiche Repression erfährt wie in Bangladesch. Zudem verstärkt die anti-gewerkschaftliche Haltung der Regierung, ihre Vernachlässigung von Arbeitsrechten und Sozialstandards, und die schwache Organisierung die missliche Situation der Arbeiter in Bangladesch.

Sie stehen in Kontakt zur Kampagne für Saubere Kleidung (CCC), die für Solidarität mit den Näherinnen im globalen Süden wirbt, sich aber auch vereinzelt für Belange der Arbeitskräfte in Deutschland einsetzt. Welche Schwierigkeiten sehen sie bei der Idee transnationaler Solidarität?

Transnationale Solidarität in der Form von Konsumentenprotesten, wie sie die CCC betreibt, stärkt die Arbeiter in Ländern wie Bangladesch, in denen eine gewerkschaftliche Bewegung außerordentlich schwach ist. Es gibt erfolgreiche Beispiele für eine Wirkung. Ein Haupthindernis dabei ist jedoch, dass die Regierungen und Eigentümer die Solidarität als Verschwörung brandmarken wollen, die lediglich die Arbeiter aufhetzen und Unruhe stiften würde.

Das ist ein verbreiteter Trick, um von der eigenen Verantwortung abzulenken und die Schuld für Konflikte den anderen zuzuschieben. In Deutschland kann die Einhaltung von Arbeitsrechten eingeklagt werden, die Gewerkschaften bieten Rechtsberatung. Konzerne, die global produzieren, können demgegenüber bisher noch nicht für die Verletzung von Arbeits-, Sozial- und Umweltstandards außerhalb ihres Heimatlandes haftbar gemacht werden.

Die Kampagne »Rechte für Menschen und Regeln für Unternehmen« kämpft für ein weltweites Haftbarmachen von Konzernen. Als Teilsieg auf diesem Gebiet gilt die Unterlassungsklage gegen Lidl in Deutschland. Der Discounter darf nun nicht mehr damit werben, auf die Einhaltung von Sozialstandards zu achten, denn das tut er faktisch nicht. Dadurch ändert sich jedoch erstmal nichts für die Arbeitskräfte in Bangladesch oder für die Beschäftigten in den deutschen Filialen.

Also sind auch die Verbraucher gefragt?

Viele Konzerne sorgen sich um ihr Image. Ohne Frage, der Druck von Konsumenten auf die Markenfirmen kann sehr wirkungsvoll sein, um bessere Arbeitsbedingungen und eine bessere Umsetzung von Arbeitsrechten zu erreichen.

Die Verbraucher können bei den Konzernen aber auch direkt nachfragen, unter welchen Bedingungen ihre Produkte hergestellt wurden, ob die Arbeiter existenzsichernde Löhne erhalten und ob in der Produktionskette und im Vertrieb Arbeitsrechte eingehalten werden.

Fragen: Anna Weber

* Aus: Neues Deutschland, 28. Februar 2011


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