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Bangladesch schafft koloniales Erbe ab

Trennung von Judikative und Exekutive

Von Hilmar König, Delhi *

Bangladesch beseitigt ein altes Kolonialerbe – die Interimsregierung verkündete offiziell die weithin begrüßte Trennung von Gerichtsbarkeit und Exekutive.

Der mit den Befugnissen eines Premierministers ausgestattete »Chefberater« Fakhruddin Ahmed sprach von einem »historischen Tag« und von einem »Meilenstein auf dem Weg, Gesetz und Recht zu etablieren«. Er versicherte letzte Woche auf einem Treffen in der Hauptstadt Dhaka, die Justiz sei nun völlig unabhängig vom Einfluss der Regierung und von Politikern.

Bislang konnten sich Minister und einflussreiche Parteibonzen in die Justiz einmischen und den Richtern Vorschriften machen. Jetzt hat der Oberste Gerichtshof komplette Unabhängigkeit und Autorität: Er ernennt die Richter. Chefrichter Mohammad Ruhul Amin äußerte, damit werde dem Recht zum Durchbruch verholfen.

Die Verquickung von Judikative und Exekutive ist rund 200 Jahre alt und stammt aus Zeiten der britischen Kolonialherrschaft über den indischen Subkontinent. Auch in den 36 Jahren der Unabhängigkeit Bangladeschs, des früheren Ostpakistans, war an dem System nichts geändert worden, obwohl Justizapparat und Öffentlichkeit dies immer wieder forderten. In der 1972 ausgearbeiteten Verfassung war die Trennung zwar schon anvisiert worden. Doch die politische Elite tastete das System aus Gründen der Machterhaltung nie an.

Fakhruddin Ahmed ist seit Januar im Amt, regiert seitdem mit Notstandsverordnungen und wird vom Militär unterstützt. Er hat einen gesellschaftlichen Reformprozess eingeleitet. Sein Team aus »Beratern«, die alle als Minister fungieren, ist bemüht, die korrupten Institutionen des Landes zu säubern. Es wirft den beiden rivalisierenden Hauptparteien – der Nationalistischen Partei BNP und der Awami Liga (AL) – vor, mit ihrer Dauerfehde Bangladesch an den Abgrund zur Anarchie manövriert und Korruption in allen Bereichen wenn nicht aktiv gefördert so doch zumindest geduldet zu haben.

170 Politiker, darunter Begum Khaleda Zia, bisher Chefin der BNP, und Hasina Wajed, die Vorsitzende der AL, sitzen wegen Verdachts auf Korruption, Schieberei und Machtmissbrauch in Untersuchungshaft. Die erste große Bewährungsprobe der nun »befreiten« Justiz werden die Prozesse gegen die beiden Spitzenpolitikerinnen sein.

Zu Ahmeds Programm gehört auch eine »Empfehlung« an die politischen Parteien, sich vor den für Ende 2008 vorgesehenen Parlamentswahlen zu reformieren. Das hat inzwischen in der AL und der BNP zu beträchtlichen Turbulenzen und innerem Zwist geführt. Vor wenigen Tagen wurde Frau Zia vom BNP-Führungsgremium aller Posten enthoben. Auch in der AL sind Dissidenten erstarkt.

Ein weiteres Problem, mit dem »Chefberater« Ahmed fertig werden muss, sind Terroranschläge religiöser Extremisten. Am Freitag gestanden drei Angeklagte, die der in Bangladesch verbotenen radikalen Harkat ul-Jihad al-Islami angehören, an dem Sprengstoffattentat auf eine AL-Kundgebung im August 2004 in Dhaka mitgewirkt zu haben. Der Anschlag hatte damals 23 Menschen das Leben gekostet und weitere 150 Teilnehmer der Massenveranstaltung verletzt.

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2007


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