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Auf nach Indonesien!

Textilkonzerne suchen nach Alternativen zum Standort Bangladesch

Von Daniel Kestenholz, Bangkok *

Nach einer ganzen Serie von verheerenden Katastrophen in den Fabriken Bangladeschs schauen sich die größten Textilhäuser der Welt nach Ausweichmöglichkeiten um.

Bangladesch, der nach China zweitgrößte Textilhersteller der Welt, ist für multinationale Kleiderkonzerne seit längerem nicht mehr »politisch korrekt«. Bangladesch, heißt es in Branchenkreisen, gibt Unternehmen einen »schlechten Ruf«. Globale Textilhäuser haben sich seit der Häufung von tödlichen Unfällen in Bangladesch immer wieder gegen Vorwürfe der Ausbeutung im Land zu verteidigen. Jetzt spielen namhafte Modeketten mit dem Gedanken, die Produktion aus einem Land abzuziehen, das von Kleiderexporten abhängt.

»Leute entwerfen Notfallpläne, sollten die Probleme grösser werden«, sagt Bruce Rockowitz, Präsident von Li & Fung in Hongkong, einer der führenden Beschaffungsfirmen der Welt. »Einige wollen sich ganz aus Bangladesch zurückziehen«, so Rockowitz zur »New York Times«. Schlimmstenfalls drohe Bangladesch in den nächsten neun Monaten ein Produktionsausfall von bis zu 20 Prozent. Bei einer Beschäftigung von vier Millionen in der Industrie würde das den Verlust von hunderttausenden Arbeitsplätzen im größten Industrie- und wichtigsten Exportsektor eines Landes bedeuten, das von seiner Kleiderindustrie abhängt.

Neuerdings konzentrieren sich globale Textileinkäufer auf Indonesien, das nicht nur im Textilbereich, sondern auch im Autobau und in sonstigen Industriesektoren zu den am rasantesten wachsenden Volkswirtschaften des Erdballs zählt. Indonesien hat, was Bangladesch fehlt: politische, wirtschaftliche und soziale Stabilität sowie bessere Industriestandards. So dürfen Textilfabriken in Indonesien aus Sicherheitsgründen nicht höher als zwei Stockwerke sein, um im Falle von Erdbeben oder Feuer sichere Fluchtwege zu gewährleisten.

Indonesien ist ein aufstrebender Tigerstaat ohne Negativschlagzeilen, Bangladesch das Antonym davon. Im November brannte in Dhaka eine Textilfabrik ab, 117 Menschen starben. Seit Januar lähmen dutzende Streiks. Bei Straßenschlachten zwischen Sicherheitskräften und Islamisten kamen seit Februar Hunderte ums Leben. Am 24. April ereignete sich der Fabrikeinsturz mit 1127 Toten, wonach bei einem neuerlichen Brand in einer Textilfabrik acht Menschen starben. Inzwischen hat Bangladeschs mächtige Textilvereinigung BGMEA Journalisten den Zugang zu Fabriken verboten, aus Angst, dass weitere Skandale um Arbeitsbedingungen aufgedeckt werden. Internationale Modeketten, die in Bangladesch jährlich Textilien im Wert von 19 Milliarden Dollar produzieren lassen, fürchten sich, im Land ihr Gesicht zu zeigen.

Interviews mit Angestellten vor Ort werden nicht gewährt, mit der Begründung abgekanzelt, dass alle Mitarbeiter zu beschäftigt seien. Per Email versicherte etwa die H&M-Pressebeauftragte Andrea Roos vom H&M Hauptsitz in Stockholm, dass das Unternehmen Bangladesch treu bleibe. Auf die Frage, ob H&M, der größte Käufer von Textilien aus Bangladesch, nicht doch nach Alternativen suche, weicht Roos aus. Fakt ist: Internationale Modeketten scheinen zunehmend nervös, in Bangladesch zu bestellen. Nach dem Abzug aus dem immer teureren China und den vielen Problemen in Bangladesch gilt das Interesse jetzt Indonesien, Vietnam und Kambodscha.

* neues deutschland, Dienstag, 21. Mai 2013


Neue Ufer

Von Jörg Meyer **

Indonesien boomt. Der Staat will seine Textil- und Bekleidungsindustrie ausbauen. Für den Juni organisiert ein renommierter Beratungsdienstleister für den Mittelstand eine »Geschäftsanbahnungsreise«. Klar, hier winken dicke Geschäfte. Berichten zufolge könnte die Branche in dem Inselstaat ihre Produktivität erheblich steigern, würden die in weiten Teilen über 20 Jahren alten Geräte in den Nähereien, Spinnereien und Färbereien durch neue ersetzt. Eine mögliche Kehrseite der Medaille: Schon ist zu vernehmen, dass die Unternehmen Bangladesch den Rücken zukehren. Rund 1600 Tote Arbeiterinnen und Arbeiter in der Bekleidungsindustrie seit 2006 - das bringt einen schlechten Ruf für die westlichen Importeure und Händler von Bekleidung.

Jüngst unterzeichneten die größten Auftraggeber für die bengalische Bekleidungsindustrie ein wegweisendes Brandschutzabkommen: Fabriken sollen saniert werden - das kostet. Gewerkschaftliche Organisierung, kollektive Lohnverhandlungen sollen erleichtert werden - das kostet. Also zieht man weiter, in ein Land, wo die Standards ein bisschen besser sind, der Ruf also nicht so leidet. Aber: Fiese Arbeitsbedingungen und niedrige Löhne sind auch in Indonesien keine Seltenheit. Im letzten Jahresbericht des Internationalen Gewerkschaftsbundes über die Verletzung von Gewerkschaftsrechten ist von erschossenen Streikenden die Rede und davon, dass das Streikrecht zwar auf dem Papier gewährt wird, aber kaum in Anspruch genommen werden kann. Also: Wachsam bleiben!

** neues deutschland, Dienstag, 21. Mai 2013 (Kommentar)


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