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Lebenslänglich für Meuterer?

Prozessauftakt zum Aufstand in Bangladesch

Von Thomas Berger *

Seit Dienstag (25. Aug.) wird der Aufstand der Grenzgarde Bangladeschs (BDR) vor dem Obersten Gerichtshof des Landes juristisch aufgearbeitet. Sechs Monate nach dem Ereignis muss zunächst entschieden werden, ob die Angeklagten nach Militärrecht belangt werden können.

Das nationale Trauma von Bangladesch ist vor Gericht. Am 25. und 26. Februar hatte sich ein Großteil der Grenztruppen von Bangladesch gegen die ranghöchsten Offiziere der paramilitärischen Einheit erhoben, die traditionell von der Armee gestellt wird. Nicht nur diese »Fremdbestimmung«, sondern auch die unterschiedliche Besoldung mit klarem Nachteil für die BDR-Mitglieder war diesen schon länger ein Dorn im Auge. Die schweren Auseinandersetzungen mit 73 Toten, darunter der kompletten Führungsspitze der Grenzer, trafen das Selbstverständnis des Landes. Erst als Regierungschefin Scheich Hasina Panzer vor dem BDR-Hauptquartier aufrollen ließ, wurde der Aufstand beendet. Mehrere Beteiligte waren bei den zweitägigen Kämpfen umgekommen, andere tauchten aus Furcht vor Verfolgung unter. Mittlerweile sitzen Dutzende mutmaßliche Täter in Untersuchungshaft.

Vor einer elfköpfigen Kammer des Obersten Gerichtshofes in der Hauptstadt Dhaka hat die Anhörung begonnen. Nach und nach geben zehn ernannte Sonderanwälte ihre Statements zu der grundlegenden Frage ab, ob die Angeklagten, die für die Meuterei gegen Offiziere im Februar verantwortlich waren, nach Militärrecht belangt werden können. Die ersten Plädoyers waren ein Schlag ins Gesicht der Regierung, die am liebsten einen Prozess nach Militärgerichtsbarkeit hätte. Dies komme nach Lage der Dinge nicht in Frage, so einige namhafte Juristen. Anwalt TH Khan argumentiert vor dem Obersten Richter, dass die BDR nicht den Kriterien einer militärischen Truppe genüge und deshalb nicht unter die Bestimmungen des Armeegesetzes falle.

Bei der Erörterung dieser Frage geht es nicht etwa um juristische Erbsenzählerei. Vielmehr ist von dieser Grundsatzentscheidung das potenzielle Strafmaß abhängig. Folgt das Gericht dem Antrag der Regierung, würde bei einem Schuldspruch in Sachen Meuterei gegen kommandierende Offiziere nach Militärrecht die Todesstrafe drohen. Anders bei der Variante, die TH Khan und andere Anwälte dargelegt haben. In diesem Fall kämen höchstens sieben Jahre Gefängnis in Betracht. Dies würde aus Sicht der Politik aber nicht der Schwere der Schuld eines solchen Aktes gerecht werden. Menschenrechtsgruppen haben bereits vor einem Verfahren nach Militärrecht gewarnt, das die Grundrechte der Angeklagten einschränken würde.

Politisch ist die Meuterei noch immer nicht aufgearbeitet. So hängt unter anderem noch immer die Unterstellung im Raum, radikalislamische Gruppierungen hätten bei dem Vorfall ihre Hände im Spiel gehabt, um auf diese Weise den Staat zu destabilisieren. Ungeachtet dessen, ob sich diese These am Ende beweisen lässt, hat das Ereignis tatsächlich Bangladesch kurzzeitig erschüttert. Seit dem späten Frühjahr wird deshalb vehement an einer Reform der BDR gearbeitet.

Bangladesch, das sich erst 1971 von Pakistan löste, ist damit nicht nur der jüngste Staat Südasiens. Das am dichtesten besiedelte Gebiet des Subkontinents ist zugleich das Armenhaus der Region. Erst seit den letzten Wahlen Ende 2008 ist eine gewisse politische Stabilität eingeklärt, doch die anfängliche Euphorie über den haushohen Sieg der liberalen Awami-Liga von Premierminister Scheich Hasina, Tochter von Staatsgründer Mujibur Rahman, ist Ernüchterung eingetreten. Ein »Versagen« der Regierung bei der Aufarbeitung der BDR-Meuterei wäre Wasser auf die Mühlen der rechten Opposition unter Führung der konservativen Bangladesh Nationalist Party (BNP) von Hasinas Erzrivalin Begum Khaleda Zia. Sie ist wiederum die Witwe des früheren Militärmachthabers General Zia-ur Rahman.

* Aus: Neues Deutschland, 27. August 2009


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