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Generalstreik wird zum blutigen Machtkampf in Dhaka

Konflikt zwischen Regierung und Opposition erreichte Tiefpunkt der Unversöhnlichkeit

Von Hilmar König, Delhi *

Bangladesch erlebt einen blutigen Generalstreik. Die Opposition will die Regierung mit der Aktion zum Rücktritt zwingen. Bei den Auseinandersetzungen hat es bereits mehrere Todesopfer gegeben.

Die beiden stärksten Politikerinnen Bangladeschs, Hasina Wajed und Khaleda Zia, kämpfen erbittert um die Macht. Oppositionsführerin Zia will Regierungschefin Wajed zum Rücktritt zwingen. Sie hat im Namen ihrer Bangladesh Nationalist Party (BNP) und gemeinsam mit der Jamaat-e-Islami und 16 anderen Oppositionsparteien zu einem bis diesen Dienstag dauernden Generalstreik ausgerufen. Sie wollen damit »die illegale Regierung« zu Fall bringen, wie BNP-Chefin Khaleda Zia es formulierte.

Diese Front lehnt einen Vorschlag von Premierministerin Wajed ab, eine Allparteien-Interimsregierung zu bilden, die in den 90 Tagen bis zu den nächsten Parlamentswahlen die Geschäfte führt. Khaleda Zia verlangt hingegen eine »neutrale Nichtparteien-Regierung«. Den Personenkreis dafür sollten gleichgewichtig BNP und Awami-Liga auswählen. Und eine von beiden Seiten respektierte Persönlichkeit sollte dieses Gremium bis zu Wahlen im Januar leiten. Der Vorschlag der Regierungschefin, glaubt Khaleda Zia, benachteilige die Oppositionsparteien, weil Wajed in der Übergangszeit im Amt bleibe. Vor allem die Jamaat-e-Islami und die BNP haben noch einen Grund zum Protest: Seit 2010 stehen etliche ihrer Politiker wegen Kollaboration mit dem Feind im Unabhängigkeitskampf gegen Pakistan vor einem Kriegsverbrechertribunal. Einige wurden bereits zum Tode verurteilt.

Der Generalstreik wird begleitet von Gewalt beider Seiten. Am Montag wurden ein Parteimitglied der regierenden Awami-Liga (AL) in Jamalpur sowie ein lokaler Führer der BNP das sechste und siebente Todesopfer des Streiks.

Die Aktivisten oppositioneller Parteien brachten am Montag einen Zug zum Entgleisen, kippten einen Lastwagen um, blockierten Straßen, beschädigten Fahrzeuge und warfen allein in Narayanganj mindestens zehn Brandsätze. Dutzende Menschen wurden verletzt.

Bei Zusammenstößen zwischen Anhängern der Awami-Liga, der BNP und der eingreifenden Polizei hatte es bereits am Sonntag fünf Tote gegeben. Mehr als 200 Personen waren verletzt sowie ein Personen- und ein Güterzug in Brand gesetzt worden. Über 70 Passagiere mussten in Krankenhäusern behandelt werden. Durch Brandschatzungen und Sprengsätze entstanden Schäden an Gebäuden, Bussen, Autorikschas. Seit dem Wochenende ist das öffentliche Leben weitgehend lahmgelegt. Es verkehren keine Überlandbusse von der Hauptstadt Dhaka zur Hafenstadt Chittagong und nach Sylhet.

Premier Wajed versuchte vorige Woche, die Lage zu entschärfen. Sie griff nach Jahren der »Eiszeit« zwischen ihr und der Rivalin zum Telefon, lud Khaleda Zia für Montag zum Abendessen sowie zu anschließenden Gesprächen ein. Doch die Oppositionsführerin zeigte sich unnachgiebig, lehnte ein Treffen ab und beharrte auf dem Streik. Diese Haltung wurde im Regierungslager als »Verrat an der Nation« gebrandmarkt. BNP-Generalsekretär Mirza Fakhrul Islam Alamgir meint, Beratungen kämen frühestens nach Ende des Generalstreiks in Frage. Agrarministerin Matia Chowdhury gibt sich optimistisch: »Wir bleiben für Gespräche offen und zuversichtlich, eine Lösung durch Dialog zu finden.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 29. Oktober 2013


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