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Blutige Proteste

Bangladesch: Oppositionschefin ruft zur Blockade des Landes auf. Anhaltende Auseinandersetzung mit Regierungsanhängern

Von Hilmar König, Neu-Delhi *

Ab Dienstag sollte sich in Bangladesch für eine unbestimmte Zeit kein Rad mehr drehen. Das hatte Oppositionsführerin Khaleda Zia mit einem Aufruf an die Bevölkerung zu einer landesweiten Blockade der Straßen, der Schienen- und der Wasserwege beabsichtigt. Am Montag waren vier Aktivisten ihrer Bangladesh Nationalist Party (BNP) bei Zusammenstößen mit Anhängern der regierenden Awami-Liga (AL) und der Polizei getötet worden. Doch abgesehen von ein paar explodierten Molotowcocktails in Old Dhaka, blieb es am Dienstag im Land ruhig. In der Hauptstadt zeigte die Verkehrsblockade keine sichtbare Wirkung. Allerdings wurde der Fernverkehr beeinträchtigt.

Der 5. Januar war der erste Jahrestag der Parlamentswahlen 2014, die von der Opposition boykottiert worden waren. Die BNP und andere Parteien hatten das Votum als Farce bewertet und abgelehnt. Oppositionelle sprachen deshalb von dem Tag, an dem in Bangladesch die »Demokratie gekillt« worden sei. Die Awami-Liga (AL) hingegen behauptete genau das Gegenteil: Die Demokratie sei damals »gerettet« worden. Fest steht, dass der 5. Januar 2015 durch Gewalt auf beiden Seiten zu einem »blutigen Tag« wurde. Zur traurigen Bilanz gehören zudem über 200 Verletzte und 600 Festnahmen.

Die 69jährige Khaleda Zia, bereits dreimal wie ihre Kontrahentin Sheikh Hasina Wajed Premierministerin, konnte das Geschehen nur aus dem Parteibüro in Dhaka verfolgen. Sie stand »zur eigenen Sicherheit«, wie die Behörden begründeten, unter einer Art von Hausarrest. Alle Tore des Parteigebäudes waren von der Polizei verschlossen worden. Frau Zia wetterte von dort aus gegen die »repressive« Regierung, die einer Diktatur gleichkomme und das ganze Land in Gefangenschaft halte. Sie beteuerte Bereitschaft zum Dialog, um aus der gegenwärtigen politischen Sackgasse zu kommen. Das sei nur durch freie, faire und inklusive Wahlen möglich. Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, rief sie die Bürger zur Verkehrsblockade auf.

Am Montag abend hatte sich die Premierministerin Sheikh Hasina Wajed in einer Fernsehansprache an die Nation gewandt. Die Menschen wollen Sicherheit, Frieden und Entwicklung, betonte sie. Sie warf der BNP und der Partei Jamaat-i-Islami vor, gewaltsame Straßenproteste zu initiieren sowie hinter Sabotageakten und Brandschatzungen zu stecken. Deren Anhänger hätten innerhalb eines Jahres 582 Schulen in Brand gesteckt, unzählige Menschen umgebracht und besonders Angehörige der hinduistischen Minderheit und der Awami-Liga verfolgt. Die Opposition solle diesen Kurs endlich aufgeben.

Das Land befinde sich auf dem richtigen Weg, sagte die Regierungschefin, die seit 2009 im Amt ist. »Den Menschen geht es gut. Das Land ist auf dem Vormarsch«, behauptete sie. Als Beweise dafür nannte sie die Selbstversorgung mit Getreide, eine Alphabetenrate von 69 Prozent sowie die medizinische Versorgung der ländlichen Bevölkerung in über 16.000 Gesundheitszentren. Sie hoffe, bis 2021 werde Bangladesch ein Land mittlerer Einkommen. Der sozialökonomische Fortschritt der vergangenen sechs Jahre sei zu einem Beispiel für andere Entwicklungsländer geworden.

Die Rivalität zwischen beiden Politikerinnen besteht seit mehr als 20 Jahren und wird erbittert ausgetragen. Wajed ist die Tochter des 1975 ermordeten »Vaters der Unabhängigkeit«, Sheikh Mujibur Rahman. Khaleda Zias Gatte war Ziaur Rahman, Gründer der BNP und Staatspräsident seit 1977 bis zu seiner Ermordung 1981. Die BNP kollaboriert mit der Jamaat-i-Islami. Die AL ist stärker säkular orientiert.

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 7. Januar 2015


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