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Abschieben nach Belarus

Die EU-Migrationspolizei Frontex hat mit der Regierung in Minsk mehrere Abkommen zur Migrationsabwehr unterzeichnet. Auch die Bundespolizei mischt mit

Von Matthias Monroy *

Die Europäische Union will Migranten aus den 27 Mitgliedstaaten zukünftig nach Belarus abschieben. Hierfür verhandelt die EU-Kommission derzeit ein sogenanntes »Rückübernahmeabkommen« mit der Regierung in Minsk. Die Kommission hatte den Rat um die Erteilung des Verhandlungsmandats gebeten, das im Februar letzten Jahres erteilt wurde. Damit konterkariert die EU ihre eigene Politik gegenüber dem Regime von Alexander Lukaschenko: Nahezu die gesamte Regierung – einschließlich des Präsidenten – ist mit einem Einreiseverbot belegt.

Rückübernahmeabkommen verhandelt die EU mit zahlreichen Anrainerstaaten, darunter auch die Türkei und Marokko. Sofern nachgewiesen wird, daß unerwünschte Migranten über diese »Drittstaaten« in die EU eingereist sind, dürfen sie dorthin zurückgeschoben werden. Im Gegenzug winken den Ländern Visaerleichterungen, etwa verbilligte Gebühren für Minderjährige oder die visafreie Einreise für Studierende.

Menschenrechtsorganisationen bemängeln allerdings die Bedingungen für Migranten in den entsprechenden Ländern. Vielfach fehlen Unterbringungskapazitäten, statt dessen werden Asylbewerber in Gefängnissen festgehalten. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hatte die Bundesregierung im Dezember zugegeben, daß die Haftbedingungen in belarussischen Gefängnissen und Straflagern »vor allem für politische Häftlinge zu bemängeln« seien.

Dennoch hat das deutsche Bundesinnenministerium dem belarussischen Grenzschutz seit 2008 umfangreiche Ausbildungs- und Ausstattungshilfe gewährt. Auch dies ging aus der Antwort der Bundesregierung hervor. Demnach seien bis 2011 allein 26 Maßnahmen mit dem Grenzschutz durchgeführt worden. Seit 2010 hat die Bundespolizei, die in Deutschland für die Grenzsicherung zuständig ist, sogar einen eigenen Verbindungsbeamten nach Minsk entsandt.

Die Bundespolizei arbeitet auch mit der EU-Grenz»schutz«agentur Frontex zusammen, die regelmäßig Operationen an den EU-Außengrenzen koordiniert. Polizeien mehrerer Mitgliedstaaten gehen unter Aufsicht der Agentur auf die Jagd nach unerwünschten Migranten. Unter dem Namen »Ariadne« hatte die Bundespolizei 2007 eine derartige »Gemeinsame Operation« zusammen mit polnischen Kollegen an der belarussischen Grenze durchgeführt. Für die Sicherung der EU-Außengrenzen ist das Land von zentraler Bedeutung: Mit Litauen und Lettland, vor allem aber mit Polen hat Belarus rund 1200 Kilometer gemeinsame Landgrenzen.

Vor zwei Jahren hatte Minsk eine Vereinbarung unterzeichnet, die »eine verstärkte Teilnahme« an den von Frontex koordinierten Tätigkeiten vorsieht. Das Abkommen ergänzt den Beobachterstatus, der bereits 2009 in einem »Memorandum« festgeschrieben wurde. Doch die erweiterte Zusammenarbeit ist politisch brisant: In einem Bericht an das britische Oberhaus erklärt ein polnischer Beamter, die belarussischen Grenzschützer würden sich quasi militärisch formieren. Vorgesehen ist zudem ein weiteres Abkommen, das auch den Austausch von Daten vorsieht.

Die geplante Zusammenarbeit erstreckt sich auf Grenzkontrollen an Land und in der Luft. Auch Schienentransportwege werden überwacht. Derartige Operationen führen EU-Polizeien mittlerweile halbjährlich durch: Mit mehreren tausend Polizisten werden mutmaßliche Migranten in der gesamten EU über mehrere Tage verstärkt kontrolliert. Auch Rußland und die Ukraine sollen künftig stärker in gemeinsame Operationen eingebunden werden. Belarus hat zudem bereits mehrere internationale Treffen und Konferenzen zur Migrationsabwehr ausgerichtet. Im März 2010 trafen sich beispielsweise Angehörige diplomatischer und grenzpolizeilicher Stellen aus elf Ländern und sechs Organisationen, um über Datenaustausch und die technische Aufrüstung bei Grenzkomtrollen zu beraten.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 30. August 2012


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