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Lukaschenko flirtet mit Saakaschwili

In Moskau wächst die Verärgerung

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Das Sinfonieorchester intonierte die Europa-Hymne, als sich die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton und Georgiens Staatschef Michail Saakaschwili in der vergangenen Woche in Batumi gemeinsam dem Volke zeigten. Zuvor hatten sie erste Konsultationen über den Abschluss eines Assoziierungsabkommens zwischen der EU und der Kaukasusrepublik beendet.

Die Georgier, tönte Saakaschwili vor der Presse, dränge es »instinktiv nach Europa«. Sie werden sich noch eine Weile gedulden müssen. Die Verhandlungen, bremste Ashton, hätten gerade erst begonnen und zögen sich mindestens zwei Jahre hin. Auch mit den Nachbarn Armenien und Aserbaidshan will die EU über Assoziierungsabkommen verhandeln.

Allen dreien, aber auch der Ukraine, Moldova und Belarus, hatte die EU im Mai 2009 mit dem Programm »Östliche Partnerschaft« privilegierte Beziehungen angeboten. Auf Vollmitgliedschaft kann vorerst freilich niemand hoffen. Dennoch ist Moskau irritiert. Für Unmut sorgen vor allem Absetzbewegungen in Belarus. Just während Ashtons Visite in Georgien lief im belarussischen Fernsehen ein Interview mit Saakaschwili, der seinen Kollegen Alexander Lukaschenko ausdrücklich für die »weise Entscheidung« lobte, Abchasien und Südossetien nicht anerkannt zu haben. Das aber hatte Lukaschenko Moskau nach dem Kaukasuskrieg 2008 versprochen und dafür Freundschaftspreise für Öl und Gas kassiert.

Offenbar wollte sich Lukaschenko mit Saakaschwilis Fernsehauftritt für den »Paten« rächen: eine Dokumentation des russischen Kanals NTW, in der er als kriminelle Autorität porträtiert wurde. Ähnliches hat Russland bisher keinem anderen Präsidenten eines UdSSR-Nachfolgestaates angetan. An einer Wiederwahl Lukaschenkos Anfang nächsten Jahres scheint in Moskau kein Interesse zu bestehen.

Minsk verweigerte Russland schon 2006 beim Wirtschaftsembargo gegen Georgien nach einem Spionageskandal die Gefolgschaft. Und seit der Einstellung des regulären Flugverkehrs zwischen Russland und Georgien schreibt die belarussische BELAVIA tiefschwarze Zahlen. Günstig und schnell befördern deren Maschinen nicht nur Georgier, die in Russland arbeiten, sondern auch Unternehmer, belarussische und georgische. Auch der Chef der Minsker Industrie- und Handelskammer, Wassili Romanow, wurde von Georgiens Wirtschaftsminister Zurab Palalikaschwili jüngst fürstlich empfangen. Der Aufwand lohnte sich. Nicht nur Bartergeschäfte - Wein gegen Milch oder Kirschen gegen Käse - blühen seither. Eine gemischte Regierungskommission will Ende Juli die Gründung von Gemeinschaftsunternehmen für Maschinenbau vereinbaren. Sie sollen im strukturschwachen Georgien entstehen und dort mit belarussischem Know-how vor allem Landmaschinen und Anlagen für die Lebensmittelindustrie produzieren. Die dürften auch in anderen Republiken Absatz finden.

Und statt in der Türkei sollen künftig Tausende Belarussen in Georgien urlauben. Das soll Lukaschenko Saakaschwili bei einem Geheimtreffen zugesagt haben. Es fand ausgerechnet auf der Krim statt, in der Ukraine, die unter Präsident Viktor Janukowitsch als verlässlicher Partner Russlands gilt.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Juli 2010


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