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Moskau sieht einen Fall von höherer Gewalt

Im Ölstreit schieben sich Russland und Belarus gegenseitig den schwarzen Peter zu

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Wer ist schuld und was tun? So lauten die beiden klassischen Fragen, die Russland sich in Krisensituationen stellt. Im Ölstreit zwischen Minsk und Moskau schieben beide Seiten bei der Schuldfrage einander nach wie vor den schwarzen Peter zu. Bei möglichen Lösungsansätzen tappen bisher nicht nur die Kampfhähne, sondern auch die Importeure, darunter die BRD, weitgehend im Dunklen.

Semjon Weinstock, der Chef des russischen Rohrleitungskonzerns Transneft, meldete sich erst am Montagabend zum Thema zu Wort und warf Minsk vor, der Pipeline seit Sonnabend illegal Öl zu entnehmen. Belarus habe per 1. Januar alle Importe für den Eigenbedarf storniert, die Raffinerien des Staatskonzerns Belneftechim würden dennoch weiter arbeiten. Dessen Sprecher redete sich allerdings mit dem Rückgriff auf die strategische Reserve heraus.

Dass Russland die Lieferungen gestoppt hat, bestätigte der Leiter der Transneft-Filiale im belarussischen Gomel, Alexander Bordowski. Die Pumpen seien auf russischer Seite abgestellt worden. Sein Team hätte in offiziellen Schreiben am Montag gleich dreimal volle Arbeitsbereitschaft gemeldet.

Zwei Stunden später wurde Weinstock dennoch von seinem eigenen Stellvertreter öffentlich vorgeführt – Minsk habe die Durchleitung eingestellt. Für diese Version sprechen gleich zwei Gründe: Seit Wochenbeginn läuft in Belarus ein Verfahren gegen den Transneft-Vorstand wegen Vergehen gegen die belarussische Zollgesetzgebung, zum anderen traf am Dienstag eine Delegation aus Minsk zu Verhandlungen in Moskau ein. Wenn überhaupt, sind Ergebnisse frühesten an diesem Mittwoch zu erwarten, wenn Belarus-Premier Sergej Sidorski sich in persona in das Krisenmanagement einklinkt. Denn der Spielraum, den Präsident Alexander Lukaschenko schon beim orthodoxen Weihnachtsgottesdienst am Sonntag und damit nur Stunden vor der Abschaltung vorgegeben hatte, ist sehr eng.

Sein Land werde sich nicht erpressen lassen. »Souveränität und Unabhängigkeit sind kein Tauschobjekt für Öl und Gas«, erklärte der Staatschef. Belarus werde nicht einem x-beliebigen Staat, sondern nur einer Union Gleicher beitreten. Gemeint ist der russisch-belarussische Unionsstaat, für dessen Zukunft Experten in Moskau wie in Minsk inzwischen dunkelschwarz sehen. Bisher einzige reale Ergebnisse von über zehnjährigen Verhandlungen sind eine Freihandelszone und ein gemeinsamer Zollraum. Beide sind durch den Ölkrieg faktisch bereits außer Kraft.

Russland hatte Anfang Dezember für Öllieferungen an Belarus Exportaufschläge erhoben. Pro metrische Tonne 180,70 US-Dollar. Minsk, ohnehin ergrimmt über die neuen Gaspreise, die seit Jahresbeginn fällig sind, hatte daraufhin von Moskau Transitgebühren für russische Öllieferungen an Westeuropa verlangt. Pro Tonne 45 Dollar, laut Regierungsbeschluss vom 4. Januar zahlbar vor der Durchleitung. Angeblich, so jedenfalls Lukaschenko, habe Minsk den neuen Gaspreisen erst nach russischen Zusagen für Transitgebühren bei Öllieferungen zugestimmt. Sie würden etwa so viele Dollars in die Kassen von Belarus spülen, wie das Land an Mehrkosten für die Gaslieferungen aufbringen muss.

Russland will davon nichts wissen. Moskau, so der Vizeminister für Handel und wirtschaftliche Entwicklung, Andrej Scharonow, gegenüber der Nachrichtenagentur ITAR-TASS, werde auf »bedingungsloser Annullierung der Transitgebühren« bestehen. Zu möglichen Schadenersatzforderungen der Importeure befragt, sagte Scharonow, aus russischer Sicht seien die Lieferausfälle ein Fall von höherer Gewalt.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2007

Botschaft der Republik Belarus in der Bundesrepublik Deutschland

Pressemitteilung Nr. 7, Berlin, den 10. Januar 2007

Über die Stellung der belarussischen Seite zum Thema Lieferungen des russischen Erdöls nach Europa

Bekanntlich hat die Regierung der Russischen Föderation im Dezember 2006 einseitig und ohne ordnungsgemäße Benachrichtigung der belarussischen Seite eine Verordnung verabschiedet, in der ab 1. Januar 2007 eine Exportgebühr für die Erdöllieferungen nach Belarus vorgesehen ist.

Damit hat Russland eine ganze Reihe von bilateralen und multilateralen Abkommen über Nichterhebung der Zölle verletzt. Durch solche einseitige Handlungen hat die russische Seite nicht nur gegen die Normen des Völkerrechts verstoßen, sondern auch die entstandenen Wirtschaftsverbindungen zerstört und die Wirtschaftslage der belarussischen Erdölverarbeitungsindustrie wesentlich beeinträchtigt. v Die Regierung der Republik Belarus war gezwungen, Maßnahmen zu ergreifen, um Wirtschaftsverluste und Mangel an den wichtigsten Energiequellen im Land zu vermeiden.

Als Gegenmaßnahme auf die Handlungen der russischen Seite wurde durch die Verordnung der Regierung der Republik Belarus vom 31. Dezember 2006 eine Gebühr für den Transit des russischen Erdöls durch das Gebiet von Belarus eingeführt.

Kurz darauf wurden die Transiterdöllieferungen durch Belarus von der russischen Seite eingestellt.

Belarussische Seite habe Moskau mehrmals vorgeschlagen, Verhandlungen über Erdöllieferungen nach Belarus und Europa aufzunehmen.

Zwecks Beilegung auf dem Verhandlungswege der gegenseitigen Ansprüche wurde am 8. Januar 2007 die belarussische Delegation mit dem Ersten Stellvertretenden Wirtschaftsminister Wladimir Najdunow an der Spitze nach Moskau geschickt.

Am Morgen des 9. Januar 2007 traf die Delegation unter Leitung des bevollmächtigten Vertreters der Regierung der Republik Belarus, Stellvertretenden Premierministers A.Kobjakov in Moskau ein.

Die Verhandlungen wurden von der russischen Seite unter Leitung des Ministers für wirtschaftliche Entwicklung und Handel der Russischen Föderation G.Gref praktisch zum Scheitern gebracht, indem er die einseitigen Zugeständnisse von der belarussischen Seite ohne die Gegenbewegung seitens Russlands gefordert hat. G.Gref verlangte nämlich die einseitige Aufhebung der von der Republik Belarus eingeführten Gebühr für den Transit des russischen Erdöls durch das Gebiet der Republik Belarus über die Erdölfernleitung. Er erklärte, dass die russische Seite die Verhandlungen absagt, sollte Belarus seine Forderungen nicht erfüllen.

Die belarussische Seite besteht auf der möglichst schnellen Aufnahme der realen Verhandlungen zwecks Beilegung der gegenseitigen Ansprüche, die durch die einseitige Einführung von der russischen Seite im Widerspruch zu allen Vereinbarungen im Rahmen des Staatenbundes und der Zollunion zwischen der Republik Belarus und der Russischen Föderation Exportzollabgabe für das in die Republik Belarus gelieferte Erdöl entstanden sind. Die Einführung einer solchen Abgabe ist ein drastischer Verstoß gegen den Geist und Buchstaben sämtlicher Abkommen innerhalb der Zollunion, weil diese per Definition den zollfreien Handel zwischen deren Mitgliedern vorsieht. Zwischen Belarus und Russland besteht auch die Freihandelszone ohne Ausnahmen und Beschränkungen.

Eine notgedrungene Gegenmaßnahme – eine Transitgebühr für das Erdöl, das durch das Gebiet der Republik Belarus per Erdölfernleitung transportiert wird, eingeführt, schlägt Belarus vor, auf beiderseitiger Basis sowie belarussische, als auch russische Abgabe aufzuheben und für Belarus und Russland akzeptable Formel der Verteilung des Einkommens von dem Export der Erdölprodukte aus Belarus, die aus dem russischen Erdöl erzeugt werden, zu finden. Im Ergebnis könnten auch die Interessen der Drittländer, die von dem Transit des russischen Erdöls abhängig sind, geschützt werden.

Der Premierminister der Republik Belarus Sergei Sidorski ist bereit am heutigen Tag, dem 10. Januar nach Moskau zu reisen, um reale Verhandlungen aufzunehmen und das Problem zu gegenseitig annehmbaren Konditionen, aber nicht auf Basis des einseitigen Diktats, zu lösen. Bis jetzt hat die russische Seite jeden Kontakt mit dem Premierminister der Republik Belarus vermieden. Die belarussische Seite besteht weiterhin auf der baldmöglichsten Aufnahme der realen Verhandlungen.

Die am 9. Januar noch einmal wiederholten russischen Erklärungen, dass Belarus angeblich das Durchpumpen des Erdöls auf seiner westlichen Grenze abgebrochen hat, spotten jeder Kritik und sind wirklichkeitsfremd. Es gibt kein Öl im Rohr. Die Einstellung der Erdöllieferung gerade von der russischen Seite wurde vorgestern sowie von dem Leiter der "Transneft" S.Weinstock, als auch von dem Stellvertretenden Minister für wirtschaftliche Entwicklung und Handel Russlands A.Scharonow bestätigt.

Quelle: www.belarus-botschaft.de




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