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Wahl im Land des "Donnerdrachens"

Bhutans Monarch Jigme Khesar Namgyel Wangchuck setzt das Werk seines Vaters fort

Von Hilmar König *

Die erste Phase der Parlamentswahlen im südasiatischen buddhistisch geprägten Königreich Bhutan, dem Land des »Donnerdrachens«, ist abgeschlossen. In der vergangenen Woche kürten knapp 50 Prozent der Stimmberechtigten 20 Abgeordnete für den Nationalrat. Diese dürfen keiner der fünf politischen Parteien angehören. Fünf Personen für dieses Gremium ernennt der 32 Jahre alte König Jigme Khesar Namgyel Wangchuck. Chefwahlkommissar Dasho Kunzang Wangdi begründete die geringe Wahlbeteiligung damit, daß die Bevölkerung des Himalaja-Staates der gesetzgebenden Nationalversammlung mehr Bedeutung beimißt. Das ist die andere Kammer der Volksvertretung. Das Votum dafür findet voraussichtlich im Juni nach einem intensiven Wahlkampf der Kandidaten statt, die von den politischen Parteien für 47 Sitze aufgestellt werden.

Die dritte »Säule« im politischen Gefüge bildet der Monarch, der »Drachenkönig« (Druk Gyalpo). Er setzt seit der Machtübernahme im Jahre 2006 das Werk seines Vaters fort. Dem kam 1972 die Idee, nicht mehr das auf Wirtschaftskraft beruhende Bruttosozialprodukt zum Maß aller Dinge zu machen. An dessen Stelle kreierte er ein »Bruttosozialglück« als erstrebenswert und als übergeordnete Richtschnur der Entwicklung. Damit sollen die »drei Grundübel Unwissenheit, Haß und Habgier« überwunden und ein Gleichgewicht zwischen materiellen Bedürfnissen und spirituellen Werten angestrebt werden. Die Eckpunkte des »Glückskonzepts« sind die wirtschaftliche Entwicklung, der Schutz der Kultur und der Natur, die miteinander verwoben sind, sowie gutes Regieren, wobei Wert auf die wachsende Einbeziehung der Bürger gelegt wird. Ob oder wann das Konzept richtig zum Tragen kommt, bleibt abzuwarten. Immerhin leben noch rund 20 Prozent der etwa 717000 Bhutaner unter der Armutsgrenze. Zu den Schwachpunkten zählen zudem Arbeitslosigkeit, Jugendkriminalität sowie die Abhängigkeit der Wirtschaft von Importen. Hingegen liegt die durchschnittliche Lebenserwartung bei für die Region Südasien beachtlichen 68 Jahren.

Und ein ganz anderes Kapitel ist, wer überhaupt am »Bruttosozialglück« partizipieren darf. Das 1985 verabschiedete Staatsbürgergesetz grenzt die Minderheit der einst aus Nepal eingewanderten, hinduistischen Lhotsampas aus. Über 100000 von ihnen wurden Anfang der 1990er Jahre vertrieben oder entzogen sich der Zwangsassimilierung durch Flucht ins benachbarte Nepal, wo sie in dürftigen Notlagern untergebracht wurden. Ihre Rückkehr lehnt der Monarch ab. Erst im November 2007 startete die UN-Flüchtlingsorganisation ­UNHCR gemeinsam mit der Internationalen Organisation für Migration einen Umsiedlungsprozeß. Acht Staaten zeigten sich aus humanitären Gründen bereit, Lhotsampas aufzunehmen. Inzwischen haben 66134 von ihnen in den USA, 5376 in Kanada, 4190 in Australien, 747 in Neuseeland, 746 in Dänemark, 546 in Norwegen, 326 in den Niederlanden und 317 in Großbritannien ein neues Leben begonnen. Aber ein paar tausend Flüchtlinge bleiben in den Lagern und hoffen, von Nepal aus eines Tages doch noch in ihre Heimat im Süden Bhutans zurückkehren zu dürfen.

Unter dem Zepter des jüngsten Königs in der Welt pflegt das Land eine enge Nachbarschaftsbeziehung zu Indien. Bei seinem Staatsbesuch zu Jahresbeginn in Neu-Delhi äußerte der Monarch: »Indien wird in unseren Herzen stets einen Sonderplatz einnehmen.« Während das etwa wie die Schweiz große Bhutan zum nördlichen Nachbarn China keine diplomatischen Beziehungen unterhält und auch kein Interesse an dessen Entwicklungshilfeangeboten zeigt, stand und steht Indien an allen entscheidenden Punkten Pate. Das Verhältnis beruht seit 1949 auf einem 2007 erneuerten Freundschaftspakt. Tatsächlich arbeiteten indische Berater an der Verfassung, am Wahlsystem, der Rechtsprechung oder den Plänen zum Staatshaushalt mit. Die Kooperation reicht vom Aufbau der Infrastruktur, der Errichtung von Wasserkraftwerken, der Ausbildung von Fachleuten bis zu Waffenlieferungen. Über fünf Jahrzehnte folgte Bhutan sogar strikt dem Kurs indischer Außenpolitik. Inzwischen hat das Königreich seinen internationalen Spielraum durch die Mitgliedschaft in der UNO, der Bewegung der Blockfreien, im IWF, der Weltbank und in der südasiatischen Kooperationsgemeinschaft SAARC erheblich ausgeweitet.

* Aus: junge Welt, Donnerstag, 2. Mai 2013


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