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Überraschender Wechsel in Bhutan

Bisherige Oppositionspartei drehte den Spieß bei Parlamentswahlen um

Von Hilmar König, Delhi *

Unüberhörbar »donnerte« es am Sonnabend in Bhutan, dem »Land des Donnerdrachens« im Himalaja. Bei den Parlamentswahlen im südasiatischen Königreich gelang der Demokratischen Volkspartei (PDP) unerwartet die Wachablösung.

Seit Einführung demokratischer Verhältnisse im Jahre 2008 spielte die PDP mit ihrem Chef Tshering Tobgay die Oppositionsrolle. Premier Jigme Y Thinley von der Friedens- und Prosperitätspartei (DPT) hatte alle Fäden in der Hand, sieht man von der dominierenden Rolle des Königs Jigme Khesar Namgyel Wangchuck ab. Am Sonnabend gewann die PDP 32 der 47 Parlamentssitze, die DPT nur 15.

In den Wochen seit dem ersten Wahlgang Ende Mai hatte DPD-Chef Tobgay zwei Themen in den Mittelpunkt seiner Auftritte gerückt: die »gespannten indisch-bhutanischen Beziehungen« und die »hohlen Ansprüche der DPT bezüglich des Bruttosozialglücks«. Diese 1972 vom damaligen König Jigme Singye Wangchuk gezogene Richtschnur der Entwicklung (anstelle des Bruttosozialprodukts) habe die Regierungspartei vor allem als Aushängeschild für die internationale Öffentlichkeit missbraucht, erklärte Tobgay. Die etwa 400 000 überwiegend auf dem Lande lebenden Bhutaner hätten von diesem Konzept kaum etwas gespürt. Tatsächlich scheint die schlechte Wirtschaftslage die Aussichten auf ein »soziales nationales Glück« enorm getrübt zu haben – und ein maßgeblicher Faktor für das Wahlergebnis gewesen zu sein.

Die Situation wurde noch angespannter, weil Nachbar Indien, an dessen Nabelschnur das Königreich hängt, kurz vor der Wahl aus »haushaltstechnischen« Gründen die seit Jahrzehnten üblichen Subventionen für Lieferungen von Haushaltsgas und Kerosin nach Bhutan gestrichen hatte. Kommentatoren sahen darin den Versuch einer Einflussnahme auf die Wahlen. Sie vermuteten eine indirekte, aber unmissverständliche Reaktion Indiens auf Expremier Thinleys Tendenz, Fühler in Richtung Norden – nach China – auszustrecken. Ohnehin, so offenbarte das Wahlmanifest seiner Partei, strebte er für eine zweite Amtszeit eine stärkere Eigenständigkeit Bhutans in der UNO, dem südasiatischen Staatenbund SAARC, der Bewegung der Blockfreien und anderen internationalen Foren an. Die Rede war von »ökonomischer Diplomatie« und einem »Marsch in Richtung Selbstsicherheit bis zum Jahr 2020«. Trotz der Versicherung, das Verhältnis zu Indien bleibe der »Eckstein unserer Außenpolitik«, schien die DPT mit der Andeutung eines unabhängigeren Kurses ihre Favoritenrolle in Delhi verspielt zu haben. Tshering Tobgay will innerhalb von 90 Tagen alle offenen Fragen mit Indien klären.

Dass bei der Wahl sehr viel auf dem Spiel stand, muss das Volk erkannt haben: Ohne Indien geht in Bhutan nichts. Indische Berater halfen bei der Ausarbeitung der Verfassung, des Wahlsystems und der Rechtsprechung. Experten sind in der Wirtschaftskooperation tätig, verbessern die Infrastruktur, bauen an Wasserkraftwerken und helfen, Fachleute auszubilden. Nicht zuletzt schenkte Indien dem »kleinen Bruder« ein paar Tausend elektronische Wahlmaschinen.

* Aus: neues deutschland, Montag, 15. Juli 2013


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