Morales will Bildung für Alle
Als drittes Land Südamerikas überwindet Bolivien den Analphabetismus
Von Benjamin Beutler *
Neben Kuba (1961) und Venezuela (2005) ist Bolivien jetzt das dritte
Land Südamerikas ohne Analphabetismus.
»Auftrag erfüllt«. Mit diesen Worten erklärte Boliviens Präsident Evo
Morales das Andenland am Sonnabend (20. Dezember 2008) offiziell zum
»analphabetenfreien Gebiet«. Der sozialistische Präsident der nach Haiti
zweitärmsten Nation Südamerikas konnte damit ein weiteres
Wahlversprechen seiner Regierung »Bewegung zum Sozialismus« (MAS)
erfüllen. Mittels der kubanischen Lehrmethode »Yo, sí puedo« (»Ich kann
es doch«) konnte innerhalb von nur zweieinhalb Jahren knapp 820 000
Bolivianern das Lesen und Schreiben beigebracht werden. »Ein Journalist
fragte mich einst: Warum willst Du Präsident sein? Damit der
Analphabetismus in Bolivien überwunden wird, war meine Antwort«,
erinnerte Morales auf einer feierlichen Zeremonie im
zentralbolivianischen Cochabamba an seine Vorgabe von vor drei Jahren.
In Anwesenheit von Para-guays Präsident Fernando Lugo – wo als nächstes
eine Alphabetisierungskampagne gestartet werden soll –, Vertretern der
Organisation Amerikanischer Staaten sowie den Bildungsministern
Boliviens, Kubas und Venezuelas verdeutlichte der erste indigene
Präsident des Kontinents die historische Bedeutung des Ereignisses. »Ich
habe Bücher gelesen, die berichten, dass den Aymaras, die lesen wollten,
die Augen ausgestochen und denen, die schreiben lernen wollten, die
Hände abgehackt wurden«. In 183 Jahren als unabhängige Republik sei
Bildung auch nach dem Ende spanischer Kolonialherrschaft allein einem
kleinen Teil der Bevölkerung zugänglich gewesen, erinnerte der
bolivianische Bildungsminister und ehemalige Vizepräsident der
Verfassungsgebenden Versammlung, Roberto Aguilar. Direkte Folgen seien
»Diskriminierung, Ausgrenzung und Armut« gewesen.
Die erfolgreiche Überwindung des Analphabetentums sei zudem ein
wichtiger Schritt der vom MAS proklamierten »demokratisch-kulturellen
Revolution«, so Aguilar. Die indigene Justizministerin Celima Torrico
hob hingegen den mit 70 Prozent bemerkenswert hohen Anteil
alphabetisierter Frauen hervor. An »sozialen Fragen desinteressierte
Vorgängerregierungen« hätten die bolivianische Frau einer
»entwürdigenden Situation« ausgesetzt, so Torrico. Wie Morales konnten
sie nur sechs Jahren zur Schule gehen. Das Beispiel Bolivien zeige der
internationalen Gemeinschaft, dass arme Länder mit politischem Willen
den Analphabetismus durchaus überwinden können, lobte ein
UNESCO-Repräsentant. Gemäß der UN-Organisation für Erziehung,
Wissenschaft und Bildung (UNESCO) gilt ein Land als frei vom
Analphabetentum, wenn 96 Prozent der Erwachsenen des Lesen und
Schreibens mächtig sind. Bolivien hat diese hohe Meßlatte nun sogar mit
97 Prozent der Neun-Millionen-Bevölkerung übertroffen. Noch 2001 lag die
Analphabetenquote laut Regierungsstatistiken bei 14 Prozent, auf dem
Land sogar bei 26 Prozent. Neben Kuba (1961) und Venezuela (2005) ist
Bolivien jetzt das dritte Land Südamerikas ohne Analphabetismus. Alle
drei sind Mitglieder des 2004 gegründeten regionalen
Wirtschaftsbündnisses »Bolivarianische Alternative für die Völker
unseres Amerika« (ALBA).
Die von Venezuela und Kuba unterstützte »Yo, sí puedo«-Kampagne (Kosten:
36,7 Millionen US-Dollar) errichtete 28 045 Lehrzentren, in denen 819
417 Bolivianer unterrichtet wurden. In Gebieten ohne Strom konnten die
videogestützen 60-Tage-Kurse durch von Venezuela gespendete Fernseher,
Rekorder angeboten werden, die mit gespendeten Solarpanelen betreiben
wurden. Für Sehkranke stellte Kuba über 200 000 Brillen. Die Lehrkräfte
setzten sich aus 5000 kubanischen Lehrern und über 46 000 Venezolanern
und Bolivianern zusammen. Unterrichtet wurde neben Spanisch auch in den
Landessprachen Quechua, Aymara und Guaraní.
* Aus: Neues Deutschland, 23. Dezember 2008
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