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Bolivien unter Beobachtung

Vizepräsident kündigt Programm zur friedlichen Nutzung der Atomenergie an

Von Benjamin Beutler *

Eine Ankündigung von Vizepräsident Álvaro García Linera für mehr High-Tech-Forschung hat in Bolivien für Aufmerksamkeit gesorgt. »Wir werden ein Programm zur Entwicklung von Atomenergie für eine friedliche Nutzung einführen«, kündigte der studierte Mathematiker in einer Rede vor Studenten zum Auftakt der in der vergangenen Woche in der Universitätsstadt Tarija begonnenen Wissenschaftsolympiade an. Während einer Europareise von Präsident Evo Morales nach Österreich und Frankreich hatte der Chefideologe der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) die Amtsgeschäfte übernommen.

In der Forschung besteht in Bolivien großer Nachholbedarf. Das gilt auch für die Kernphysik, etwa für medizinische Diagnose- und Therapieverfahren, Materialforschung oder Archäologie. »Alle Länder in Lateinamerika machen das, warum also nicht auch Bolivien, das sehr gute Physiker und Chemiker hat«, trieb der 50jährige seine Gedankenspiele weiter. Den Einsatzbereich der Technik, so Linera weiter, werde man nach Bedarf bestimmen: »Für das Wohl des Landes ist sowohl der medizinische Bereich, und wenn nötig auch der Bereich elektrischer Energiegewinnung denkbar«.

Die Opposition gab sich entrüstet. »Wir hoffen, Sie wollen das Programm nicht in Allianz mit dem Iran durchführen«, erklärte der rechtskonservative Abgeordnete Luis Felipe Dorado vom »Nationalen Zusammenhalt« (CN). Präsident Morales hatte im November 2009 bei einem Besuch des iranischen Präsidenten Mahmud Ahmedinedschad im Regierungspalast Palacio Quemado eine Erklärung unterzeichnet. Beide Länder erklären darin ihr Recht auf friedliche Nutzung von Atomkraft. Im Oktober 2010 trat Morales seinen Gegenbesuch an, wobei ein Memorandum of Unterstanding und Kooperationsabkommen zur Erforschung und Entwicklung von Atomkraft geschlossen wurde.

Die Annäherung der beiden Politiker läßt in den Vereinigten Staaten und Israel die Alarmglocken schrillen. Lateinamerikas linksregierte Länder Venezuela, Nicaragua, Kuba und Ecuador würden Iran bei der Umgehung von UN-Sanktionen wegen seines Atomprogrammes helfen, warnt ein im September 2012 im US-Kongreß verabschiedetes »Gesetz zur Eindämmung des iranischen Einflusses in der westlichen Hemisphäre«. In Südamerika sei der Iran auf der »verdächtigen Suche« nach Uranvorkommen, berichtete der Ex-Pentagon-Staatsminister der Bush-Regierung für Lateinamerika, der bekannte Scharfmacher Roger Francisco Noriega, in einer Kongreßanhörung. Die Version von der Uransuche im Südamerika vertritt auch Israels Außenministerium, was Teheran dementiert.

Wer nicht Washingtons Linie vertritt, wird in die Ecke von Terroristen und Atombombenbastler gestellt. Boliviens Realität ist eine andere. »In Bolivien gibt es kleine Mengen von Uran von nur geringer Qualität, eine industrielle Nutzung ist nicht denkbar«, sagt Boliviens Ex-Bergbauminister Dionisio Garzón. Alberto Miranda vom nationalen Nuklearinstitut IBTEN bescheinigt dem Berbbauland Uranvorkommen. Diese aber »sind erst noch in der Erkundungsphase«.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 19. März 2013


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