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Transport fällt aus

Boliviens Regierung erhöht Treibstoffpreise. Gewerkschaft ruft zu Streik auf

Von Johannes Schulten *

Mit dem Aufruf zu einem Generalstreik hat die bolivianische Transportarbeitergewerkschaft CCB am Sonntag auf eine von der Regierung per Dekret verordnete starke Erhöhung der Treibstoffpreise reagiert. Vizepräsident Álvaro García Linera hatte am selben Tag die Aufhebung der seit 2003 eingefrorenen Preise und eine Angleichung an das Niveau der Nachbarstaaten bekanntgegeben. Dieser Schritt sei nötig, um »die Ökonomie zu schützen und nicht weiter den Treibstoffschmuggel zu subventionieren«. Die Kosten für einen Liter Benzin werden von bisher 3,74 Bolivianos (0,4 Euro) auf 6,47 Bolivianos (0,7 Euro) ansteigen, der Dieselpreis von 3,72 (0,4 Euro) auf 6,8 Bolivianos (0,74 Euro). Das in Bolivien viel genutzte Gas ist von den Erhöhungen ausgenommen.

Die Reaktion der Gewerkschaft kam postwendend. Nur einige Stunden nach der Bekanntgabe der Maßnahme rief die CCB für den gestrigen Montag einen unbefristeten Streik aus. Generalsekretär Franklin Durán betonte auf einer Pressekonferenz, daß der Ausstand keine politischen Ziele verfolge, er richte sich nicht gegen den Präsidenten (Evo Morales). Es gehe lediglich darum, einen Anstieg der Treibstoffkosten zu verhindern, der nicht nur negative Auswirkungen auf die Transportbranche, sondern Preiserhöhungen für alle Bolivianer nach sich ziehen würde. Informationen über die Beteiligung am Streik lagen bei Redaktionsschluß nicht vor. Mit rund 175000 Mitgliedern ist die CCB eine der bestorganisierten Gewerkschaften des Landes. Am Dienstag sollen in La Paz weitere Schritte abgestimmt werden.

Für die Regierung ist die Preisanhebung unausweichlich: »Wir können weder länger die Schmuggler noch diejenigen subventionieren, die fünf oder sechs Autos haben«, erklärte García Linera. Treibstoff ist dank staatlicher Bezuschussungen in Bolivien bis zu 50 Prozent billiger als in den Nachbarstaaten, illegaler Handel daher ein lohnendes Geschäft. Die Subventionen seien deshalb seit 2005 von 80 Millionen US-Dollar auf aktuell rund 380 Millionen gestiegen. »Wir können es uns nicht leisten, den Diesel teuer zu kaufen und ihn billig zu verkaufen«, so der Vizepräsident. Alle bisherigen Versuche, den Schmuggel durch verschärfte Grenzkontrollen zu unterbinden, seien gescheitert. Die Freigabe der Preise sei die einzige verbleibende Alternative. Er kündigte jedoch an, daß die Regierung die für die Bevölkerung anfallenden Mehrkosten durch eine Erhöhung der Löhne in staatlichen Einrichtungen sowie das Einfrieren der Energiepreise kompensieren werde.

Die Auswirkungen auf die Lebenshaltungskosten dürften trotzdem enorm sein. In Bolivien gibt es kein nennenswertes Bahnnetz. Aufgrund der immensen Höhenunterschiede in dem Andenland werden Lebensmittel größtenteils in Lastwagen häufig über lange Strecken transportiert. Die Millionenstadt La Paz muß praktisch alle Nahrungsmittel aus dem etwa 2000 Meter tiefer liegenden Anbaugebiet Yungas beziehen. Zeitungsmeldungen zufolge stiegen auf den Märkten von La Paz die Preise bereits am Sonntag um bis zu 50 Prozent. Zudem wurde über Hamsterkäufe von Treibstoff durch Privatpersonen berichtet.

* Aus: junge Welt, 28. Dezember 2010


Mutige Politik

Von Martin Ling **

Mit der Rolle des Buhmannes ist die bolivianische Regierung vertraut. Zuletzt wurde sie beim Klimagipfel in Cancún an den Pranger gestellt, weil sie als einzige Regierung einem Kompromisspapier nicht zustimmen wollten, deren Inhalt vom Gros der Klimaforscher als unzulänglich für eine Eindämmung des Klimawandels eingeschätzt wurde.

Nun macht sich die Regierung Morales im eigenen Land zum Buhmann. Die Streichung der Treibstoffsubventionen zieht Nebenwirkungen auf fast allen Ebenen nach sich. Denn nicht nur Mobilität wird teurer, sondern auch Produkte, die für ihre Erstellung auf herantransportierte Inputs angewiesen sind wie zum Beispiel Brot.

Die Maßnahme der Regierung ist gut begründet: Dem Staat gehen durch Schmuggel in hochpreisigere Nachbarländer Millionen Dollar verloren. Die Umstellung des Transportwesens in Richtung des reichlich vorhandenen Erdgases kann nur funktionieren, wenn Benzin nicht verramscht wird. Dennoch geht Morales ein hohes politisches Risiko ein. Diese Preiserhöhung trifft die Einkommensschwächsten am stärksten. Umso wichtiger ist es, die Entscheidung sozial zu flankieren. Ein gesellschaftliches Umsteuern hin zu einem nachhaltigen Modell, wie es Morales als Vision vorschwebt, ist zum Nulltarif freilich nicht zu haben.

** Aus: Neues Deutschland, 28. Dezember 2010 (Kommentar)


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