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Bodenschätze gehören allen Bolivianern

Die Forderung nach mehr regionaler Autonomie hat wirtschaftliche Gründe. Ein Gespräch mit Henry De La Barra Valdez

Henry De La Barra Valdez ist Abgeordneter der Regierungspartei "Bewegung zum ­Sozialismus" (MAS) im Unterhaus (Abgeordnetenkammer) des bolivianischen Parlaments *



In Bolivien hat sich die verfassunggebende Versammlung unlängst bis Dezember vertagt. Innerhalb eines Jahres wollte sie zu einem Ergebnis kommen. Woran ist das gescheitert?

Der Hauptgrund für die Verzögerung liegt darin, daß sich die ­Gruppen der Opposition mit der Regierungspartei nicht über die Abstimmungsmodi einigen konnten. Die Debatte wurde von der Opposition benutzt, um die verfassunggebende Versammlung am Fortkommen zu hindern.

Auf der anderen Seite gab es auch großen Druck aus der Bevölkerung und von sozialen Gruppen. Sie wollten ihren Forderungen Gehör verschaffen, damit sie Eingang in die neue Konstitution erhalten. Deswegen hat der Kongreß dem Konvent eine Fristverlängerung bis 14. Dezember gewährt. Bis dahin muß die neue Verfassung auf jeden Fall fertiggestellt werden. Die Artikel, auf die man sich dann innerhalb der Versammlung nicht per Zweidrittelmehrheit einigen kann, sollen in Referenden abgestimmt werden.

Bevor die ursprüngliche Frist am 6. August auslief, hatten sich Vertreter der reichen Provinzen aus dem Osten Boliviens getroffen. Die Departamentos Santa Cruz, Chuquisaca, Tarija, Beni und Pando forderten dabei mehr Autonomie ein. Welche Rolle spielt dieser Vorstoß?

Die Autonomie der Departamentos ist grundsätzlich garantiert. Zu diesem Thema haben in der Vergangenheit schon Referenden stattgefunden, die von der Regierung auch akzeptiert werden. Das Problem liegt in der unterschiedlichen Interpretation.

Unserer Meinung nach muß die Regierung die Gewalt über das gesamte Territorium behalten. Aus den Departamentos werden nun aber Forderungen erhoben, die zu einer Teilung des Landes führen könnten. Wir wollen den Departamentos auf administrativer Ebene Autonomie gewähren. Die Forderungen der genannten Gruppe bezieht sich allerdings auf die natürlichen Ressourcen.

Es geht also nicht unbedingt nur um politische Autonomie, sondern auch um den Zugriff auf die Bodenschätze?

Ja, aber diese Ressourcen gehören allen Bolivianern, nicht einzelnen Departamentos. Der Genosse Evo Morales möchte, daß die Bodenschätze als Allgemeingut aller Bolivianer respektiert werden. Die Opposition sieht das anders. Sie will die Ressourcen selbst ausbeuten und den anderen Teilen des Landes nur Brotkrumen zugestehen. Nach Ansicht unserer Partei und der gesamten Regierung müssen die Bodenschätze dem Bildungs- und Gesundheitssystem zugute kommen, von dem dann alle Bewohner profitieren. Wir wollen nicht, daß die Autonomie das Land spaltet. Das ist im Moment die größte Gefahr.

­Aus der Landeshauptstadt Sucre wird zudem der Umzug der Regierung gefordert, die in La Paz tagt. Was hat es mit dieser Debatte auf sich?

Daß die Regierung in La Paz im Westen des Landes ansässig ist, hat historische Gründe. Deswegen hat die Forderung nach einem Umzug in das östlicher gelegene Sucre solches Aufsehen erregt. Aber es gibt auch ganz praktische Gründe für die derzeitige Aufteilung zwischen Hauptstadt und Regierungssitz. La Paz hat eine besser ausgebaute Infrastruktur, die Kapazitäten von Sucre würden nicht ausreichen. Politisch gesehen droht die Forderung, ebenso wie die einiger weniger Regionen nach Autonomie, die Spaltung Boliviens in Ost und West zu beförden.

Warum dann der Vorstoß?

Weil es dabei ebenfalls um wirtschaftliche Interessen geht. Wenn die Regierung in eine andere Stadt zieht, erzeugt das natürlich einen wirtschaftlichen Aufschwung und schafft Arbeitsplätze. Diese Erwägung steckt hinter der Initiative. Sucre hat kaum Industrie und etwas Tourismus.

Und es geht um eine politische Machtverschiebung. Denn die Forderung nach einer Verlegung des Regierungssitzes wird vor allem aus den lokalen Verwaltungsstrukturen erhoben und von den sogenannten Zivilkomitees, die meist regierungsfeindlich sind. Wenn man mit den einfachen Leuten auf der Straße spricht, wird die Forderung nicht geteilt.

Interview: Aline-Sophia Hirseland

* Aus: junge Welt, 22. August 2007


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