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Sabotage der Tiefland-Reaktion

Sozialistische Regierung in Bolivien warnt vor neuer Gewalt – Senat blockiert Wahlrecht

Von Benjamin Beutler *

Die bolivianische Regierung hat die Bevölkerung vor gewalttätigen Aktionen durch »antidemokratische Kreise« gewarnt. Die radikale Tiefland-Rechte plane durch »Blockade und Sabotage« die anstehenden Präsidentschaft- und Parlamentswahlen Ende des Jahres um jeden Preis zu verhindern, so Vizepräsident Álvaro García Linera am Dienstag in La Paz. Der Politiker zog eine Parallele zum gescheiterten Putschversuch im September 2008, der das Verfassungsreferendum zur »Neugründung Boliviens« mit extremer Gewalt zu verhindern suchte.

Ende März hatte auch Luz Patricia, Präsidentin der »Interamerikanischen Kommission für Menschenrechte« (CIDH) vor »zivilen, gewalttätigen Akteuren« gewarnt. Mittels »nichtstaatlich organisierter Gewalt« würden derartige paramilitärischen Gruppen versuchen, Zustände wie Sklavenarbeit und Knechtschaft weiter aufrechtzuerhalten, alarmiert die Chefin jener Kommission, die der »Organisation Amerikanischer Staaten« (OAS) untersteht. Während des September-Putsches hatten bewaffnete Angestellte der oppositionellen Gebietsverwaltung im bolivianischen Tiefland-Departamento Pando Sympathisanten der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) brutal massakriert, wobei mindestens 18 Menschen starben. Zeitgleich hatte die »Jugend­union Santa Cruz« (UJC) als bewaffneter Arm des »Bürgerkomitee Pro Santa Cruz« Büros von Menschenrechtsorganisationen und des Zentralstaates geplündert und zerstört, Mitarbeiter wurden geschlagen und mit Morddrohungen eingeschüchtert.

Wie stark die Bedrohung ist, zeigt ein jüngster Mordanschlag auf den Expräsidenten des staatlichen Energieunternehmens YPFB, Saúl Avalos. Nur knapp entging das MAS-Mitglied am vergangenen Wochenende einem gezielten Attentat, als in seinem Haus in der Oppositionshochburg Santa Cruz ein Sprengkörper explodierte und einen Krater von zwei Meter Durchmesser hinterließ. »Die Wiederkehr der Gewalt besorgt uns«, so Linera, der gegenüber weiteren »Destabilisierungsversuchen« eine »angemessene Reaktion durch Staat, Polizei und Armee« ankündigte.

Wie schon beim Verfassungsprozeß benutzt Boliviens Opposition ihre Stimmenmehrheit im Senat, um sich unter Angabe von »21 verfassungsrechtlichen Verstößen« gegen den Wandel im Land zu wehren. Hatte die MAS-Regierung nach Annahme der neuen Magna Charta Ende Januar einen Entwurf für das neue Wahlrecht auf den Weg gebracht, so versucht die von der Opposition dominierte zweite Parlamentskammer die nötige Norm nun per Veto scheitern zu lassen. José Luis Exeni, Präsident des Nationalen Wahlgerichtes: »Um den Wahlkalender zu beginnen brauchen wir ein Gesetz«. Zu entscheiden habe der Gesetzgeber, ein Präsidialdekret von Staatspräsident Evo Morales reiche nicht, so Exeni. MAS-Senator Félix Rojas hatte die Umgehung des Senats vorgeschlagen, nachdem das vom MAS dominierte Abgeordnetenhaus das Wahlrecht mit großer Mehrheit abgenickt hatte.

Bolivien droht damit ein neuer Streit um die Machtbefugnisse der Institutionen. Die Verfassung erlaube der Regierung, »per Dekret zu allgemeinen Wahlen aufzurufen«, argumentiert Rojas. Würde die Rechte weiter die Arbeit der Legislative blockieren, würden die Parlamente geschlossen. Rückhalt kommt von unten. Gewerkschaften und soziale Bewegungen stellten am Mittwoch ein Ultimatum bis zum 8. April. Gebe es dann kein Wahlgesetz, werde das Kongreßgebäude, wo beide Kammern tagen, eingekesselt. Adolfo Flores von der »Vereinigung der Völker des Bolivianischen Ostens« (CIDOB) kündigte massive Mobilisierungen an: »Wir sind die Beschützer des Wandels«.

* Aus: junge Welt, 3. April 2009


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