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Kampf um Cochabamba

Präfekt des bolivianischen Departements gibt Amtsgeschäfte nach Protesten ab, hält aber an Posten fest. Präsident Morales schlägt Volksabstimmung vor

Von Timo Berger *

Nach wochenlangen Protesten gegen den Präfekten des bolivianischen Departements Cochabamba hat eine Bürgerversammlung am Dienstag abend (Ortszeit) eine regionale »Revolutionsregierung« gebildet. Nach Angaben der spanischen Nachrichtenagentur EFE nahmen daran auf dem zentralen Platz der gleichnamigen Hauptstadt bis zu 30000 Menschen teil.

Seit mehr als zwei Wochen schon protestieren soziale Organisationen und Gewerkschaften, die der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) nahestehen, gegen den Präfekten Manfred Reyes Villa. Schwere Zusammenstöße zwischen dessen Anhängern und Gegnern forderten vergangene Woche zwei Todesopfer und mehr als zweihundert Verletzte.

Reyes Villa steht in der Kritik, seit er im Dezember seine Unterstützung für Separationsbestrebungen der reichen Departements im Osten des Landes erklärt und ein Referendum über die Autonomie Cochabambas angekündigt hatte. Die Demonstranten werfen ihm zudem Korruption und Amtsmißbrauch vor und machen ihn für die Toten und Verletzten der vergangenen Woche verantwortlich. Der Präfekt gab unterdessen dem Druck nach und delegierte die Amtsgeschäfte an seinen Stellvertreter Johnny Ferrel. Zugleich weigerte er sich zurückzutreten.

Das bevölkerungsreiche Departement Cochabamba im Zentrum Boliviens spielt eine wichtige Rolle im Binnhandel. Im Konflikt zwischen der MAS-Regierung und den rohstoffreichen Departements im Osten ist Co­chabamba das Zünglein an der Waage. Durch die offene Parteinahme Villas für die abtrünnigen Landesteile ist es für die Regierung Morales noch schwieriger geworden, ihre Vorstellung von der Neuordnung Boliviens durchzusetzen. Denn ein Bündnis aus separatistischen Präfekten und Oppositionsabgeordneten blockiert seit Monaten die verfassunggebende Versammlung.

Am Dienstag mittag sollte eine Versammlung aus Arbeitern und Bauern über den Fortgang der Proteste gegen Reyes Villa entscheiden. Die Anführer aus den Reihen der MAS konnten sich nicht mit einem Vorschlag durchsetzen, über die Zukunft des Präfekten den Departementsrat, ein Gremium aus den Repräsentanten der 16 Departements, entscheiden zu lassen.

In einer Bürgerversammlung setzten sich in Cochabamba derweil radikalere Kräfte durch. Sie wählten eine dreißigköpfige »Revolutionsregierung«, deren Mitglieder zu gleichen Teilen aus Gewerkschaften und sozialen Bewegungen kommen und die nächsten Mittwoch einen neuen Präfekten bestimmen wollen. Ein Versuch, eine erste »Regierungssitzung« in der Präfektur abzuhalten, scheiterte am Dienstag abend jedoch: Der Strom im Gebäude war abgeschaltet.

Boliviens Vizepräsident Álvaro García Linera, der in Abwesenheit Evo Morales zur Zeit die Amtsgeschäfte führt, erklärte gegenüber den Medien in La Paz, die bolivianische Regierung werde die Entscheidungen der Versammlung nicht anerkennen. »Ob sie uns gefallen oder nicht: Wir werden diejenigen respektieren, die auf demokratischem Wege gewählt wurden«, sagte er. Präsident Morales hatte zuvor eine Volksabstimmung vorgeschlagen, um über den Amtsverbleib von Reyes Villa zu entscheiden.

* Aus: junge Welt, 18. Januar 2007


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