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"Keine Angst vor Demokratie"

Boliviens Präsident Evo Morales will 2014 erneut antreten. Opposition sieht Verfassungsbruch

Von Benjamin Beutler *

In 18 Monaten stimmen die Bolivianer über einen neuen Präsidenten ab. Dabei stellt sich auch die Frage einer Wiederwahl des Amtsinhabers Evo Morales. Anfang April hat die regierende »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) den ersten indigenen Präsidenten der Elf-Millionen-Einwohner-Nation auf einem Parteitag offiziell für die Wahlen im Dezember 2014 nominiert.

Bei der Bevölkerung ist Morales ist beliebt wie eh und je. Seine Gegner wollen seine Wiederwahl darum auf juristischem Wege verhindern. Alles dreht sich um die Frage, in welcher Amtszeit sich der 53jährige befindet. Die seit Frühjahr 2009 geltende Verfassung erlaubt für Präsidenten und Vizepräsidenten nur eine unmittelbare Wiederwahl. Im Dezember 2005 wurde der Sozialist – unter der alten Magna Charta der Republik – erstmals Staatsoberhaupt. Ein Jahr vor Ende der fünfjährigen Amtszeit folgte seine zweite Wahl im Dezember 2009 unter der Verfassung des neuen Plurinationalen Staates. Für das Regierungslager ist klar: Diese von vor gut drei Jahren zählt nicht, zumal ihr Wunschkandidat seine erste Amtszeit damals wegen vorgezogener Neuwahlen nach dem Verfassungsreferendum im Januar 2009 als »nicht abgeschlossen« beendete.

Dagegen läuft die Opposition Sturm. Eine erneute Amtszeit wäre »ein klarer Bruch der Verfassung«, warnt Expräsident Jorge Quiroga in einem Protestbrief an die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) vor einem »schweren Schaden für die Demokratie«. Bolivien stehe am Abgrund. Nicht nur, daß die Linksregierung »Politiker der Opposition verfolgt, die Pressefreiheit bedroht, kritische Stimmen einschüchtert, unabhängige Institutionen unterwirft«, malt der Chef der in der Versenkung verschwundenen PODEMOS (Nachfolgepartei der von Exdiktator Hugo Banzer gegründeten »Nationalen Demokratischen Aktion«) Schreckensbilder. Außerdem würden »Gewinne aus hohen Rohstoffpreisen verschwendet«, greift der Banzer-Ziehsohn Staatsausgaben für Bildung und Sozialprogramme an, Kriminalität und Drogenhandel würden überborden. Mit der geplanten Morales-Wiederwahl sei »die rote Linie« endgültig überschritten, poltert Quiroga stellvertretend für die zersplitterte Opposition.

Auf Antrag des Senats prüft nun das Verfassungsgericht. Für die Phase nach dem Richterspruch Mitte Mai sieht Politikanalyst Marco Antezana Quino vier Szenarien. Gibt das Gericht grünes Licht, hätten Morales und Vize Álvaro García Linera freie Bahn. Zeigt das Verfassungsgericht die rote Karte, so wird die Regierungspartei die Spielregeln der Magna Charta zu verändern suchen, erklärt Antezana. Reformen muß der Gesetzgeber mit Zweidrittelmehrheit oder Referendum verabschieden. In der Plurinationalen Versammlung aus Abgeordnetenkammer und Senat dominiert die Morales-Partei. Eine Zustimmung gilt damit als sehr wahrscheinlich. Sollte die Parlamentsmehrheit verfehlt werden, kann laut Verfassungsartikel 411 ein Referendum per Bürgerinitiative ausgerufen werden. Dafür müßten 20 Prozent der Wahlberechtigten unterzeichnen. Spricht sich die Bevölkerung im Referendum gegen eine Wiederwahl aus, muß sich die MAS auf die Suche nach einem neuen Kandidaten machen. »Vor dem Volk sollte man keine Angst haben«, gibt sich Vizepräsident Linera sicher: »Am Ende wird die demokratische Stimme über das politische Personal entscheiden«.

* Aus: junge Welt, Montag, 15. April 2013


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