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Boliviens Gasverstaatlichung läuft nicht rund

Umstrukturierung des Energieunternehmens YFPB dauert länger als geplant

Von Benjamin Beutler *

Boliviens Präsident Evo Morales arbeitet weiter an der »Neugründung« des Andenlandes. Während die Verfassunggebende Versammlung seit dem 2. August eifrig am Werk ist, verläuft die Verstaatlichung der Bodenschätze schleppend. Die Multis stellen sich quer.

Evo Morales will Bolivien quasi vom Kopf auf die Füße stellen: mittels einer Landreform, der Verstaatlichung der Bodenschätze und der Verfassunggebenden Versammlung. Alle drei Vorhaben wurden bereits in Angriff genommen, doch die Verstaatlichung der Bodenschätze, vor allem der fossilen Brennstoffe, verläuft laut dem zuständigen Energieminister Andres Soliz Rada nicht zufriedenstellend. In einer durch die Oppositionspartei PODEMOS beantragten Anhörung im Senat musste Rada eingestehen, dass durch die vor mehr als 100 Tagen dekretierte Verstaatlichung der Bodenschätze bisher keine zusätzlichen Einkünfte für Bolivien erwirtschaftet werden konnten. Es sei ein Fehler gewesen, dass man angekündigt habe, das staatliche Energieunternehmen YFPB (Yacimientos Petroliferos Fiscales Boliviano) würde binnen 60-Tage-Frist seine Umstrukturierung abgeschlossen haben. Am 1. Mai hatte Morales die Rückgewinnung der staatlichen Kontrolle über die nationalen Bodenschätze dekretiert, die YFPB sollte nach seinen Worten in ein »transparentes, effizientes und gesellschaftlich kontrolliertes« Unternehmen umgewandelt werden. Die Verstaatlichung werde nun »vorübergehend ausgesetzt, geschuldet dem Fehlen finanzieller Mittel«, so Energieminister Rada. Helfen soll ein 180-Millionen-Dollar-Kredit der Bolivianischen Staatsbank, auch hofft man auf Hilfe aus Venezuela.

Kapital ist nötig, unter anderem zur Erreichung der Aktienmehrheit in den von internationalen Konzernen wie Repsol, Petroleiro Brasileiro und Petrobras kontrollierten Unternehmungen im bolivianischen Energiesektor.

Die Opposition freut sich über derartige Schwierigkeiten, Wirtschaftsanalytiker beginnen mit Grabreden auf das Verstaatlichungsprojekt. »Die Verstaatlichung war eine Medienshow«, meint Fernando Messmer, Kongressführer von PODEMOS. Und Piettro Pitts vom »Latin Petroleum Magazin« schreibt, Bolivien habe »weder das technische Know-how noch Kapital und die Erfahrung«, um sein Erdgas gewinnbringend zu nutzen.

Energieminister Rada vermutet eine sorgfältig geplante Strategie der Energiemultis. Millionen von Dollars würden in eine die Regierung und ihre politischen Vorhaben diskreditierende Kampagne fließen. Korruptionsvorwürfe werden gegen Personen in führenden Ämtern lanciert, wie gegen den Direktor des YFPB, Jorge Alvarado. Die ausländischen Investitionen reduzierten sich seit Amtsantritt Morales auf ein Sechstel. Zudem kündigte das brasilianische Unternehmen Petrobras einen wichtigen Gasliefervertrag, Grund seien die »regulierenden Veränderungen in Bolivien«, was auf die Verstaatlichung und den Verfassungsprozess abzielt. Gleichzeitig richtete sich Petrobras an die Präfektur der erdgasreichen und deshalb abspaltungsgeneigten Provinz Tarija, um eventuelle Abkommen vorzubereiten. Grund derartiger Aktivitäten ist die in zwei Monaten beginnende entscheidende Etappe des Verstaatlichungsprozesses: Die Neuverhandlung der Förderverträge zwischen Bolivien und den internationalen Energieunternehmen. Mit psychologischen, politischen und wirtschaftlichen Methoden wollen die Multis Druck ausüben, da sie eine Einbuße an Einfluss und Profit befürchten.

Angesichts solcher Allianzen stützt sich die Bewegung zum Sozialismus (MAS) weiter auf die sozialen Bewegungen. Deren Führer zogen in einer zehnstündigen Sitzung mit Präsident Morales sowie dem Vizeminister für die Koordination mit den sozialen Bewegungen, Alfredo Rada, Bilanz der bisherigen Regierungszeit und äußerten sich zufrieden. »Er hat in sechs Monaten das geschafft, was anderen Präsidenten in fünf Jahren nicht gelungen ist«, sagt Valentina Coria, Delegierte des Bauernfrauenbundes La Paz. Und der Vorsitzende des Nationalrates der Ayllus und Marqas (indigene Kommunen) lobt die Zusammenarbeit mit dem MAS: »Nicht eine Regierung hat uns je gerufen, immer haben sie isoliert gearbeitet, nun partizipieren wir direkt.«

Eine Rechnung bleibt noch offen: Die Auslieferung des in die USA geflüchteten Expräsidenten Gonzalo Sánchez de Lozada, um ihm im eigenen Land den Prozess zu machen. Ein Land, das mehr und mehr dem eigenen Volk zu gehören scheint.

* Aus: neues Deutschland, 24. August 2006


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