Verteilungskämpfe
Bolivien: Der Gasstreit von Gran Chaco fordert ein Todesopfer. Opposition beschuldigt Regierung
Von Benjamin Beutler, Santa Cruz de la Sierra *
Die Opposition hat es wieder einmal geschafft. Landesweit flimmerten vergangene Woche Bilder von gewalttätigen Protesten über die Fernsehbildschirme. Bolivien, so suggerieren die mehrheitlich von der rechten Opposition dominierten Medien, steckt in einer tiefen Krise. »Kriegsschauplatz« ist diesmal der Gran Chaco im Süden des Landes, an der Grenze zu Argentinien, wo sich im Departamento Tarija eines der größten Gasfelder Südamerikas befindet. Seit Jahren schon streiten sich die lokalen Verwaltungen der Städte Yacuiba und Caraparí um den Grenzverlauf ihrer Distrikte, die über die Verteilung von lukrativen Gassteuern, den »regalías«, entscheiden. Doch seit Evo Morales und seine Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) an die Macht gekommen sind, haben sich die Interessenkonflikte verschärft.
Die MAS-Politik der »Nationalisierung der fossilen Brennstoffe« und der Wiedergründung des staatlichen Energieunternehmens YPFB beschert dem Staat erhebliche Mehreinnahmen aus dem Gasgeschäft. In der Folge sind Verteilungskämpfe um die neu entstandenen Pfründe ausgebrochen. Die Verwaltung Yacuibas fordert unter anderem eine YPFB-Zweigstelle vor Ort, verspricht sich Zuwachs an Einfluß und Einnahmen. Auch sollen die Handelsbeziehungen zum nahegelegenen Argentinien erleichtert, die regionale Industrialisierung vorangetrieben werden. Sinnige Forderungen, denn im wüstenähnlichen Gran Chaco gibt es bislang nichts, außer Gas.
Doch die berechtigten lokalen Interessen werden von der rechten Opposition geschickt gegen die Zentralregierung instrumentalisiert. Das Departamento Tarija wird von der Oppositionspartei PODEMOS und seinem Präfekten Mario Cossío regiert. Zusammen mit den anderen oppositionellen Präfekten der ostbolivianischen Departamente Santa Cruz, Pando und Beni bildet Tarija den »Halbmond«, in ihrem Diskurs gegen die Regierung fordern sie mehr politische Eigenständigkeit. Alles Abspaltungsversuche von der emanzipatorischen Linie eines Evo Morales, der bisherige Privilegien angreift. Um dies zu verhindern ist jedes Mittel recht, Desinformation und politische Kompromittierungsversuche sind der derzeit bevorzugte Weg. Bestes Beispiel ist der vergangene Woche eskalierte Gasstreit von Gran Chaco.
Zur Erreichung ihrer Forderungen ergriffen die Bewohner Yacuibas drastische Maßnahmen: Sie bestetzten Förder- und Leitungsanlagen sowie Büros privater und staatlicher Energieunternehmen und blockierten Straßen. Sogar mit der Sprengung von Pipelines wurde gedroht. Für das »sozial bewegte« Bolivien nicht unüblich, eine gewalttätige Eskalation war vorprogrammiert. »Es scheint sich um einen angekündigten Toten zu handeln«, kommentiert der Polit-Analyst Jorge Kafka die Ereignisse. Denn bei der nächtlichen Plünderung von Bürogebäuden des Energieunternehmens Transredes und der Besetzung einer wichtigen Gaspumpstation griff das Militär ein, am Dienstag kam es zu knapp hundert Verletzten und einem Toten. Auch im weiteren Verlauf der Woche gab es gewalttätige Auseinandersetzungen, Autos brannten, Polizisten wurden als Geiseln genommen. Die wichtigsten Straßen waren blockiert, die Gaslieferungen nach Argentinien bis Freitag vollständig unterbrochen.
»Es darf nicht sein, daß es zu Kämpfen zwischen Bolivianern, zwischen zwei Distrikten kommt. Wir laden die politisch Verantwortlichen dazu ein, den Dialog zu führen«, versucht Regierungssprecher Alex Contreras zu schlichten. Zahlreiche Vermittlungsangebote seitens der Regierung wurden von den oppositionellen Regionalpolitikern abgelehnt. Dieselben singen jetzt ihr altes Lied: »Die Regierung. Sie sind an allem schuld, was in diesem Departamento passiert«, hetzt Präfekt Cossío. »Schwarzer Dienstag: Und Evo ist schuld« lautet der Slogan, der nun im ganzen Land verbreitet wird.
* Aus: junge Welt, 23. April 2007
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