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Gefährliches Bolivien

US-Geheimdienstaktionen gegen Linksregierung unter Morales

Von Benjamin Beutler *

Die USA setzen die bolivianische Linksregierung der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) offenbar mit Geheimdienstaktionen unter Druck. Laut jüngsten Erkenntnissen aus La Paz hat der US-Auslandsgeheimdienst CIA mit der Söldnertruppe um den Balkankrieg-Veteran Eduardo Rosza Flores zusammengearbeitet. Die war im April 2009 durch ein Spezialkommando der bolivianischen Polizei dingfest gemacht worden und soll die Ermordung von Boliviens Präsident Evo Morales und dessen Vize Álvaro García Linera geplant haben. In der vergangenen Woche stellte der im Flores-Fall ermittelnde Staatsanwalt Marcelo Soza neueste Erkenntnisse vor. Die Auswertung beschlagnahmter Laptops, Mobiltelefone und Fotoapparate zeige eine direkte Verbindung der Söldner zum CIA-Agenten Istvan Belovai. Der Ungar habe Flores Satellitenaufklärung und finanzielle Unterstützung angeboten sowie Informationen über die Aktivitäten der Söldnertruppe nach Langley weitergeleitet, so Staatsanwalt Soza. Seit dem Kalten Krieg habe Belovai auf dem Balkan für Washington unter dem Codenamen Skorpion B operiert, wo er Kontakt zu dem bolivianisch-ungarischstämmigen Flores aufgenommen habe. Zuletzt war er als militärischer Berater tätig.

Auch unter der Obama-Administration bleibt Bolivien im Visier Washingtons. Ein in der vergangenen Woche fertiggestellter Bericht der US-Bundespolizei FBI und der CIA bezeichnet das Andenland als »Gefahr« für die regionale Stabilität. »Es scheint, daß Morales seine autoritären Ziele, seine Agenda der Verstaatlichung und seine Anti-US-Außenpolitik weiterführt«, warnt das Papier. Morales, der seit seinem Eintritt in die bolivianische Politik in den 1980ern unter Beobachtung diverser US-Behörden steht, reagierte mit Humor: »Als ich Gewerkschafter war, sagten sie, ich sei ein Terrorist, Drogenhändler und Mörder. Heute bin ich froh, daß sie mich weder des einen noch des anderen beschuldigen«. Die Beschuldigungen seien Ergebnis der »Angst vor dem Kampf der Völker«. Die Verstaatlichung von Öl und Gas stelle keine Bedrohung für die Region dar. »Aber natürlich sind wir eine Gefahr für die transnationalen Unternehmen, denn es gehört zu den Pflichten der Völker, sich ihre Bodenschätze wieder anzueignen«, so der Staatschef.

Auch im Inneren beschwört die Opposition die »Gefahr vor der autoritären MAS-Diktatur«. Am vergangenen Mittwoch beschloß das Parlament mit der Zweidrittelmehrheit des MAS ein Gesetz zur Justizreform, der Senat folgte am Freitag. Die Norm regelt die Übergangsbesetzung des verwaisten Verfassungsgerichts und Obersten Gerichts bis zur erstmaligen Wahl aller Verfassungsrichter durch die Bevölkerung im Dezember. Dieses Novum der Mitbestimmung in Lateinamerika schreibt die neue Verfassung explizit vor. Seit dem Machtantritt des MAS 2006 war die Mehrheit der Richter aus dem Dunstkreis konservativer Parteien mit teils fadenscheinigen Gründen zurückgetreten und die oberste Gerichtsbarkeit auf diesem Wege lahmgelegt. Seitdem steht der Justizapparat still. Offiziellen Angaben zufolge liegen im Verfassungsgericht 5640 Verfahren auf Halde, im Obersten Gericht stapeln sich über 5000.

Bis zum Wahltermin im Dezember ernennt nun der Präsident per Dekret die Übergangsrichter. Den Vorwurf der Regierungsgegner einer »MAS-Justiz« hielt er die neue Unabhängigkeit der Gewalten vor. »Früher wurden die Machtposten im Justizapparat durch politisches Geschacher zwischen den Regierungsparteien verteilt«, erinnerte Morales. Seine Regierung garantiere Unabhängigkeit. Selbst der MAS-Mitbegründer Santos Ramírez sitzt wegen Korruption in Haft.

* Aus: junge Welt, 15. Februar 2010


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