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Verstimmung ausgeräumt

Energiegipfel: Argentinien, Brasilien und Venezuela unterstützen die Wiederverstaatlichung der bolivianischen Rohstoffreserven

Von Timo Berger*

Versöhnliche Bilder nach dem Energiegipfel im argentinischen Grenzort Puerto Iguazu: Ignacio »Lula« da Silva (Brasilien), Evo Morales (Bolivien), Néstor Kirchner (Argentinien) und Hugo Chávez (Venezuela) lagen sich am Donnerstag nachmittag (Ortszeit) in den Armen und lächelten in die Kameras. Während ihres dreistündigen Treffens diskutierten die vier Staatschefs die Auswirkungen der von Morales am Montag erlassenen Verstaatlichung der Rohstoffreserven Boliviens.

Vor allem zwischen Brasilien und Bolivien war es deswegen im Verlauf dieser Woche zu erheblichen Spannungen gekommen: Die Verträge der in Bolivien operierenden Mineralölfirmen sind hinfällig und müssen innerhalb des nächsten halben Jahres neu verhandelt werden. Das Andenland fordert zum einen mehr Steuern und Abgaben, zum anderen sollen auch die Exportpreise für Gas steigen. Bislang beziehen Argentinien und Brasilien bolivianisches Gas zu Preisen unter Weltmarktniveau. Während es sich aber bei Argentinien bislang um ein relativ geringes Volumen von sieben Millionen Kubikmeter handelt, sind es bei Brasilien immerhin 25 Millionen Kubikmeter Erdgas täglich, die in Zukunft teurer eingekauft werden müßten.

Besonders betroffen von der Renationalisierung ist auch die brasilianische Mineralölgesellschaft Petrobras, die zur Zeit 60 Prozent des bolivianischen Gases fördert. Das Unternehmen kündigte am Mittwoch an, es werde keine neuen Investitionen mehr in Bolivien tätigen und juristisch gegen das Land vorgehen. Der brasilianische Präsident da Silva drängte deshalb auf ein schnelles Treffen mit Evo Morales und schaltete seine Amtskollegen aus Argentinien und Venezuela als Vermittler ein.

Nach dem Gipfel äußerten sowohl da Silva als auch Kirchner Verständnis für die Wiederverstaatlichung der Rohstoffreserven Boliviens: »Wir respektieren und begrüßen die von Bolivien getroffene souveräne Entscheidung«, erklärte Kirchner gegenüber der Presse. Auch Brasilien, so da Silva, respektiere die nationale Souveränität Boliviens in der Energiefrage – allerdings entscheide Petrobras eigenständig, wo es sich engagiere.

Morales, der zuvor die Ankündigung von Petrobras, ihre Investitionen in Bolivien auszusetzen, als »Erpressung« bezeichnet hatte, zeigte sich optimistisch: »Dieses Treffen hat jegliche Verstimmung zwischen den Regierungen ausgeräumt«. Der bolivianische Präsident erklärte, sein Land werde die bisherige Gasversorgung Argentiniens und Brasiliens sicherstellen. Es wurde außerdem in einem gemeinsam verfaßten Schlußdokument festgelegt, daß die neuen Exportpreise »rational und ausgeglichen« sein sollen und bilateral ausgehandelt werden und sowohl die Entwicklung in den Erzeuger- wie der Verbraucherländer begünstigen soll: »Die Integration des Energiesektors ist wesentlicher Baustein der regionalen Integration zum Wohl des Volkes«.

Bolivien bekommt im Gegenzug für die Versorgungsgarantie Zusagen für neue Investitionen. PDVSA, die staatliche Mineralölgesellschaft Venezuelas, wird in Santa Cruz eine Anlage zur Trennung von Gasen für 40 Millionen US-Dollar errichten. Hugo Chávez überreichte in Iguazu Evo Morales außerdem einen Brief, in dem er Bolivien anbietet, es an die Gaspipeline von Venezuela nach Argentinien durch Brasilien anzuschließen. »Und Evo hat schon ja gesagt«, versicherte Chávez gegenüber der Presse.

* Aus: junge Welt, 6. Mai 2006


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