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Kein Frieden für La Paz

Opposition in Bolivien bricht Streit um Hauptstadt vom Zaun

Von Ben Beutler, Cochabamba *

Gerade erst wurde die Frist für die verfassunggebende Versammlung in Bolivien bis Dezember verlängert, da legt die Opposition neue Steine in den Weg. Mit einem Hungerstreik in Sucre, Hauptstadt des Landes und Sitz des Konvents, soll die »Neugründung Boliviens« torpediert werden. Die 103 Hungernden fordern für Sucre den vollen Hauptstadtstatus, den Umzug der Exekutive und Jurisdiktion vom derzeitigen Regierungssitz La Paz. Diese Zweiteilung existiert seit 1899.

Dabei wurde in der verfassunggebenden Versammlung in der vergangenen Woche ein Antrag mit absoluter Mehrheit abgelehnt, Hauptstadtdiskussion auf die Tagesordnung zu setzen. Schließlich sei die Kapitale noch nie durch die Verfassung definiert worden, hieß es, die Kontroverse solle daher im Kongreß behandelt werden. Neben den Wahlmännern der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) stimmten auch moderate Oppositionspolitiker gegen das Vorhaben. Getragen wird die Forderung zum einen von Wahlmännern des Departaments Chuquisaca, in dem Sucre liegt. Unterstützung kommt auch von gut 50 weiteren der insgesamt 255 Mitglieder des Verfassungskonvents. Alle stammen aus den oppositionell regierten Departamentos Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando. Sie wollen in erster Linie ein Fortkommen der Arbeit an einer neuen Magna Charta verhindern.

Neben dem Hungerstreik stellte am Freitag eine öffentliche Bürgerversammlung in Sucre der MAS ein Ultimatum. Sollte der Beschluß des Konvents bis zum 23. August nicht annulliert sein, werde man regionale Streiks beginnen und die verfassunggebende Versammlung boykottieren. Das Gremium wäre damit arbeitsunfähig, weil das erforderliche Quorum nicht erreicht würde.

Auf der anderen Seite kündigten soziale Organisationen ihren Widerstand an. »Wenn politische Parteien oder sonstige Gruppen einen Fortschritt des Verfassungskonvents verhindern wollen, dann werden wir darauf reagieren müssen«, ließ Máximo Romero, Funktionär der Gewerkschaft der Koka-Bauern von Cochabamba verlautbaren. Man könne Sucre einkesseln. In der Vergangenheit war die Blockade von Städten wiederholt ein effektives Mittel zur Durchsetzung politischer Positionen. So hatte eine Massenmobilisierung sozialer Organisationen im Juni 2005 die Ernennung des unbeliebten Hurmando Vaca Diez als Nachfolger des zurückgetretenen Präsidenten Carlos Mesa verhindert.

Kommt es zu keiner Verhandlungslösung, sind neue Massenmobilisierungen zur Unterstützung der Regierung von Präsident Evo Morales wahrscheinlich. Die Ausarbeitung einer neuen Verfassung ist schließlich eine ihrer Hauptforderungen. Die MAS-Wahlmänner setzten daher ungeachtet aller Störmanöver ihre Arbeit im Konvent fort. Der Vorsitzende Román Lazarte kündigte an, man werde »nicht auf halber Strecke stehen bleiben«.

* Aus: junge Welt, 23. August 2007


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