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Geld in diskretem Umschlag

Bolivien: Beweise für Verbindung zwischen Opposition und Indígenen-Protesten

Von Benjamin Beutler *

Ein am Mittwoch von Regierungsminister Carlos Romero bei einer Pressekonferenz vorgespielter Mitschnitt eines Telefongesprächs sorgt für Wirbel in Bolivien. In der Aufnahme, die dem Kabinett eigenen Angaben zufolge anonym zugespielt wurde, ist die Oppositionspolitikerin Marcela Revollo zu hören, wie sie dem Indigenenverband CIDOB regelmäßige Geldüberweisungen zusagt. »Sagt mir einfach, wieviel ihr ungefähr braucht, damit wir einige Tage durchhalten, und dann schick ich nochmal was«, ist von der Politikerin der »Bewegung ohne Angst« (MSM) zu hören. Ein Konto des Empfängers sei nicht nötig, die nicht näher bezifferte Summe könne persönlich übergeben werden. »Nach eingehender Prüfung hat der Präsidentenpalast entschieden, daß die Bevölkerung über diese wichtigen Tatsachen aufgeklärt werden muß«, verteidigte Innenminister Jorge Pérez die Verbreitung des Tonmaterials.

Hintergrund des Skandals sind die Proteste von Indigenen gegen den Bau einer Fernverkehrsstraße durch eine von Ureinwohnern bewohnte Zone. Zum zweiten Mal seit August 2011 organisiert die CIDOB derzeit einen international stark beachteten Demonstrationszug von Bewohnern des Naturschutzgebietes TIPNIS. Seit Tagen sind die ärmlich gekleideten Männer, Frauen und Kinder aus dem Amazonasgebiet unterwegs in Richtung La Paz. Dabei betonen sie, daß sich ihre Aktion ausschließlich gegen das von der Regierung geplante, aber mittlerweile auf Eis liegende Straßenbauprojekt richte. Einen Bezug zur Tagespolitik oder gar eine Kampagne gegen die Regierung von Präsident Evo Morales bestreiten auch Umweltschutzorganisationen und die katholische Kirche. Eine für Juni geplante Befragung aller rund 6000 TIPNIS-Bewohner über die Verbindung zwischen Hochland und Tiefebene aber lehnt CIDOB weiter kategorisch ab. Tatsächlich befürworten zahlreiche Bewohner die Straße, weil sie sich von ihr Impulse für die Entwicklung ihrer Region erhoffen.

Die von der Bewegung zum Sozialismus (MAS) gestellte Regierung hat in der Vergangenheit immer wieder die Vermutung geäußert, daß hinter dem grünen Protest tatsächlich handfeste Parteipolitik steht. Bislang hatte sie dafür jedoch keine Beweise vorlegen können, obwohl die CIDOB erst kürzlich eine »strategische Allianz« mit der oppositionellen Präfektur im Tiefland-Departamento Santa Cruz eingegangen war, die von dem Morales-Gegner Rubén Costas kontrolliert wird.

Revollo jedenfalls bemüht sich nun um Schadensbegrenzung. Natürlich erhalte der indigene Marsch »solidarische finanzielle Unterstützung«, die über den Verkauf von Postkarten finanziert werde, spielte die Politikerin gegenüber dem katholischen Radiosender Erbol die aufgeflogenen Geldsendungen herunter. »Ich habe gegen Carlos Romero Beschwerde eingereicht«, erklärte die Abgeordnete, die sich bereits wie in den 70er Jahren in einer »Epoche der Diktatur« wähnt. Das Ministerium müsse erklären, wie es an das Telefonat gekommen sei.

* Aus: junge Welt, Montag, 14. Mai 2012


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