Ringen um Roben
Boliviens oberste Richter werden erstmals gewählt. Opposition will boykottieren
Von Benjamin Beutler *
Boliviens Bürger bestellen ihre künftigen Rechtsprecher zum Bewerbungsgespräch. Am 16. Oktober werden die Richterstühle für das Oberste Verfassungsgericht, den Obersten Gerichtshof, die Gerichte für Umwelt und Landwirtschaft sowie das Oberste Verwaltungsgericht neu besetzt. Die dabei erstmals praktiziert Einsetzung per Stimmzettel ist ein weltweit einmaliger Vorgang. Seit letzter Woche können die Bürger des Landes nun Fragen an die Kandidaten einreichen, ab Anfang September stellen sich die 116 Bewerber der Öffentlichkeit vor. »In den vier großen Staatsmedien haben wir eine Interviewrunde für alle Bewerber organisiert«, erklärt Claudio Rossell, Direktor des öffentlichen Rundfunks, das bevorstehende Verfahren. Die Reihenfolge der Interviews war zuvor in einem im Fernsehen übertragenen Losverfahren bestimmt worden. »Komplette Transparenz« sei garantiert, man habe »kein Interesse an der Bevorzugung irgendeines Kandidaten«, so Rossell. »Um einen Fragenkatalog an die Kandidaten zu erstellen werden auch in anderen Medien Briefkästen eingerichtet, besonders Rechtsanwälte rufen wir zur Formulierung von Fragen auf«, wirbt Rossell zudem für eine breite Teilnahme per Mail, Facebook und Post.
Was Bolivens Präsident Evo Morales eine Demokratisierung der Justiz nennt, ist für die Gegner der regierenden »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) das »Ende der Demokratie«. Ihren Widerstand gegen die Abstimmung begründet die Opposition mit dem verhängten Wahlkampfverbot. Unter Androhung des Ausschlusses sind den Kandidaten jeglicher Wahlkampf oder Propaganda in Radio, TV, Print, bei öffentlichen Veranstaltungen oder mittels Plakaten untersagt.
Diese Verbote würden der »Patenschaft von Politik und Medien« im Bewerbungsverfahren einen Riegel vorschieben, begründete Vizepräsident Álvaro García Linera die Einschränkungen. Nur so könne für »alle Kandidaten Chancengleichheit hergestellt werden«, so Linera. Gegenüber junge Welt erklärte auch der unabhängige ehemalige Verfassungsgerichtspräsident Juan Lanchipa Ponce, der nach seinem jüngsten Rücktritt erneut für den höchsten Richterposten im Land kandidiert, daß eine drohende »Politisierung der Justiz« um jeden Preis verhindert werden müsse.
Demgegenüber bezeichneten Germán Antelo und Tomás Monasterios, Senatoren der Tieflandelite aus Santa Cruz, die Richterwahl als »undemokratisch«. Die Zweidrittelmehrheit der MAS im Parlament habe bei der Kandidatenvorauswahl dazu geführt, daß allein »MAS-Anhänger« vorgelassen worden seien, so die von der deutschen Konrad-Adenauer-Stiftung unterstützten Politiker vom Rechtsbündnis »Nationaler Zusammenhalt« (CN). Dem widerspricht der Chef des Wahlgerichts, Wilfredo Ovando: Es gelte das »Verbot von Parteizugehörigkeit der zugelassenen Kandidaten«. Die sozialdemokratische »Bewegung ohne Angst« (MSM) des Bürgermeisters von La Paz, Juan del Granado, sieht im Wahlkampfverbot einen Verfassungsbruch. Der Rivale von Morales wirbt offen dafür, ungültig zu stimmen und auf die Stimmzettel »nein« zu schreiben. Seine »Nein-Kampagne«, die er als »Plebiszit gegen die Regierung« bezeichnete, hat dem Juristen nun eine Klage wegen Verstoßes gegen das Richterwahlgesetz eingebracht. Nicht nur die MAS verurteilt den »Boykott«. So rief auch das Bolivien-Büro der Vereinten Nationen jüngst dazu auf, »dieses Recht wahrzunehmen und zur Wahl zu gehen «.
* Aus: junge Welt, 22. August 2011
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