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Prinzipien vergessen

Eine Woche nach Amtsantritt muß Boliviens Präsident Evo Morales sein Kabinett umbauen

Von Benjamin Beutler *

Wenige Tage nach Beginn seiner zweiten Amtsperiode und der Vereidigung seiner Regierung muß Boliviens Präsident Evo Morales bereits sein Kabinett umbilden. Am Donnerstag enthob Morales den neuen Bergbauminister Milton Gómez seines Amtes. Gegen den früheren Minenarbeitergewerkschafter liegen vier Klagen wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder vor, die er als Direktor der nationalen Krankenkasse begangen haben soll. Morales räumte ein, daß er sich in seiner Ministerwahl »vielleicht« geirrt habe. Von der Anklage habe er »keine Kenntnis« gehabt. Dennoch vertraue er dem Genossen. »Ich glaube nicht, daß er gestohlen hat«, so Morales. Die Vorwürfe werden von der Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) dennoch ernstgenommen, das zeigt deren rasche Reaktion. Bereits unmittelbar nach der Entlassung Gómez' wurde der MAS-Abgeordnete José Pimentel als neuer Minister vereidigt.

Gómez ist nicht die einzige strittige Personalie im neuen Kabinett von Evo Morales. Der Gewerkschaftschef Luciano Quispe beschuldigte die neue Arbeitsministerin Carmen Trujillo, sie habe sich aus der Gewerkschaftskasse persönlich um mehrere tausend Euro bereichert. Trujillo wies die Vorwürfe als haltlos zurück und drohte Quispe mit einer Verleumdungsklage. »Diese Anschuldigungen müssen vor Gericht bewiesen werden, die Behauptung einer Gewerkschaft reicht nicht aus. Solange eine formale Klage und ein Urteil nicht vorliegen, gilt sie als unschuldig«, stellte sich Regierungssprecher Iván Canales vor die Ministerin.

Nach seinem Wahlsieg im vergangenen Dezember hatte sich Präsident Morales der nicht einfachen Aufgabe gegenüber gesehen, alle am »Prozeß des Wandels« beteiligten sozialen Gruppen in das neue Kabinett einzubeziehen. »Es war schwierig, die Gleichheit der Geschlechter, das Können und das soziale Gewissen unter einen Hut zu bekommen«, räumte Morales vor einer Woche bei der Vorstellung seines Regierungsteams ein. Zwei Ministerien gingen an Vertreter von Bauern, eines an einen Vertreter der Arbeiter und eines an einen des Handwerks. Die gebildete Mittelschicht wurde mit sechs Ministerposten bedacht. Mit nur fünf Repräsentanten aus den eigenen Reihen haben die Indigenen in der Regierung einen überraschend geringen Einfluß. Bemerkenswert ist die Tatsache, daß die Hälfte der insgesamt 20 Ministerposten, zu denen auch die der in Bolivien üblichen untergeordneten Vizeministerien zählen, mit Frauen besetzt sind. Präsident Morales lobte deren »soziales Gewissen und ihren vollen Einsatz für die Verteidigung nationaler Interessen«.

Auf die jüngsten Beschuldigungen gegen sein Kabinett reagierte Morales scharf. »Einige Genossen aus den Gewerkschaften und der MAS-Führung vergessen anscheinend unsere Prinzipien, was mich zutiefst besorgt«, so Morales, der in den eigenen Reihen wegen seiner Arbeitswut und Ehrlichkeit unangefochten die Nummer eins ist. Er warnte vor internen Machtkämpfen: »Früher wurde für das Leben und die Heimat gekämpft, jetzt habe ich das Gefühl, daß es nur noch um Pöstchen geht.«

* Aus: junge Welt, 1. Februar 2010


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