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Gewinn und Würde

Boliviens Regierung setzt weiter auf Verstaatlichung. Hartes Durchgreifen gegen Korruption

Von Benjamin Beutler *

Pünktlich zum 1. Mai hat Präsident Evo Morales die Verstaatlichung der britischen Firma Air BP bekanntgegeben. Das Tochterunternehmen von British Petroleum hatte das Monopol auf die Kerosinversorgung für alle zwölf Flughäfen des Landes. »Die ganze Energiekette ist jetzt in der Hand der Regierung«, so Morales während der Mai-Feierlichkeiten. Wie bei vorherigen Verstaatlichungen besetzte Militär symbolisch die Tankanlagen.

Auf den Tag genau vor drei Jahren hatte Morales sein Wahlversprechen eingelöst und die Gas- und Erdölindustrie nationalisiert. Das Präsidialdekret »Helden des Chaco« zwang die zwölf im Lande operierenden Ölmultis wie Petrobras (Brasilien), Repsol (Großbritannien) und Total (Frankreich) zur Unterzeichnung neuer Förderverträge: 82 Prozent der Gewinne aus dem Energiegeschäft sind seitdem an den wiedererstarkten bolivianischen Staat abzuführen. Davor ging dieser Teil des Geschäftes an die Unternehmen, floß ins Ausland ab -- im ärmsten Land Süd­amerikas blieben nur 18 Prozent. Dabei sitzt Bolivien auf den zweitgrößten Gasvorkommen des Kontinents, Argentinien und Brasilien hängen bis heute von bolivianischen Lieferungen ab. Am 1. Mai 2008 dann hatte die neu gegründete staatliche Öl- und Gasfirma YPFB die Aktienmehrheit von Energiedienstleistern wie Chaco (Großbritannien) und Transredes (USA) erworben und somit die alleinige Kontrolle über Förderung, Produktion und Vertrieb übernommen. Auf gleichem Weg wurde die zuvor in italienischer Hand befindliche Telefongesellschaft Entel vergesellschaftet. Von Petrobras kaufte man die einzigen beiden Diesel-Raffinerien zurück.

Allen Unkenrufen zum Trotz trug diese »Politik der Würde« zur Wiedererlangung nationaler Souveränität sofort Früchte. Die beschworene Flucht der Unternehmen blieb aus, dank stabil hoher Weltmarkpreise der Jahre 2006, 2007 bis Mitte 2008 verdreifachten sich die jährlichen Gas- und Öleinnahmen auf zuletzt 2,7 Milliarden US-Dollar, ein Rekord. Das Geld wird paritätisch an Zentralstaat, Departamentos und Kommunen verteilt, Sozialprogramme wie die »Rente der Würde« und das Schulgeld »Juancito Pinto« werden so finanziert. Dank neuer Partner wie Venezuela, Rußland und Indien träumt man derweil vom Aufbau eigener verarbeitender Industrien.

Doch hat das ehrgeizige Vorhaben von Morales, die strategischen Wirtschaftszweige des Andenlandes unter staatliche Kontrolle zu bringen, ernsthafte Kratzer abbekommen. Der neue Reichtum weckt Begehrlichkeiten auch bei hohen Funktionären der »Bewegung zum Sozialismus« (MAS). Das Projekt der »demokratisch-kulturellen Revolution« drohte am Gift um sich greifender Korruption zu ersticken: Qualifizierte YPFB-Mitarbeiter wurden entlassen, ungelernte Verwandte und MAS-Parteigenossen nahmen ihren Platz ein. An den Grenzen zu Peru und Brasilien explodierte der Schmuggel mit subventionierten Gasflaschen, der Zoll blieb tatenlos. Millionenaufträge von YPFB wurden an Scheinfirmen vergeben, Gelder veruntreut.

Doch soll damit endgültig Schluß sein. Spätestens seit einer der MAS-Mitbegründer, YPFB-Präsident Santos Ramírez, Anfang des Jahres zum Hauptverdächtigen in einem Millionen-Dollar-Bestechungsskandal wurde, scheint Morales hart durchzugreifen. So sitzt sein ehemaliger Freund und politischer Weggefährte nach einem Parteiausschlußverfahren mittlerweile im berüchtigten Gefängnis von San Pedro.

Im Dezember finden in Bolivien Präsidentschaftswahlen statt. Einen vor vier Jahren noch undenkbaren Erfolg kann Morales sich im Wahlkampf ganz groß auf seine Fahnen schreiben: »Die Ausbeutung unserer Naturressourcen durch die transnationalen Multis ist beendet«.

* Aus: junge Welt, 6. Mai 2009


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