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Die "Nuckelflasche" der Elite gibt es nicht mehr

Boliviens Regierung geht hart gegen die Korruption vor - auch unter den eigenen Anhängern

Bolivien gilt als eines der korruptesten Länder der Welt. Die Regierung der Bewegung zum Sozialismus (MAS) unter Präsident Evo Morales ist im Jahre 2006 auch mit der Absicht angetreten, das alte Übel der Selbstbedienung der herrschenden Klasse endlich zu überwinden. Mit Boliviens Ministerin für Korruptionsbekämpfung, Nardi Suxo Iturry, sprach für das "Neue Deutschland" (ND) Benjamin Beutler über den Kampf gegen Bestechung und Bestechlichkeit sowie die Wut der alten Elite.



ND: Was konnte in den letzten drei Jahren im Kampf gegen die Korruption erreicht werden?

Iturry: Präsident Evo Morales meint es auf jeden Fall ernst. Schließlich gibt es in keinem Land der Welt ein eigenständiges Ministerium für Korruptionsbekämpfung und Transparenz. Erstmalig nennt unsere Verfassung zur »Neugründung Boliviens«, die Anfang des Jahres durch ein Referendum angenommen wurde, explizit den Kampf gegen die Korruption als Aufgabe. Die öffentliche Verwaltung muss transparent gestaltet sein, gesellschaftliche Kontrolle muss stattfinden. Zum ersten Mal gibt es das politische Recht auf Information über Tätigkeit und Entscheidungen der Verwaltung, zum ersten Mal die Pflicht aller Bürger, Korruption anzuzeigen.

Neu ist auch, dass der Straftatbestand Korruption bei öffentlichen Funktionsträgern nicht mehr verjährt. Davor blieb die Justiz oft untätig, es verstrichen fünf Jahre und der Täter kam davon. Auch genießen Minister, Präfekten oder Bürgermeister heute bei Korruption keinen Immunitätsschutz mehr. Zu unseren wichtigsten Aufgaben zählt außerdem die Rückführung veruntreuter Staatsgüter. Das alles gab es früher nicht.

Unmittelbar nach seinem Amtsantritt als Präsident ordnete Evo Morales auch die Abschaffung der sogenannten reservierten Budgets an. Was hatte es damit auf sich?

Die »reservierten Budgets« waren eine Form institutionalisierter Veruntreuung von Steuergeldern durch die Regierenden. Im Wirtschaftsministerium stellten sie einen beträchtlichen Teil des Staatshaushalts dar, der für unbestimmte Zwecke verwendet werden durfte und über den nicht Buch geführt zu werden brauchte. Belege mussten per Gesetz sofort vernichtet werden. So gab es keinerlei Kontrolle, keiner wusste, was mit diesen Geldern geschah. Minister, Abgeordnete und Senatoren verdienten dadurch das Vielfache ihres offiziellen Gehalts, ohne jemals Rechenschaft ablegen zu müssen. Abgesehen von deren Abschaffung hat Präsident Morales alle Gehälter im Staatsapparat um mehr als die Hälfte gekürzt. Er selbst verdient monatlich rund 14 000 Bolivianos (1500 Euro) -- mehr darf jetzt kein Staatsdiener im Land verdienen.

Boliviens abgewählte Elite reagiert wütend auf Evo Morales. Was hat sie zu befürchten?

Lange haben die alten Machthaber von der »Nuckelflasche des Staates« profitiert. Spezielle Kommissionen der Präsidenten haben in Absprache mit Geschäftsleuten im In- und Ausland unsere natürlichen Bodenschätze und strategisch wichtigen Staatsfirmen erst privatisiert und dann ausverkauft, ohne Rechenschaft abzulegen, ohne Kontrolle. Damit ist jetzt Schluss, der Reichtum wird durch die Verstaatlichungen heute an alle Bolivianer verteilt, anstatt in den Händen einiger weniger Privilegierter zu landen. Genau darum hassen uns die Politiker der alten Parteien, die Mitglieder dieser einst bevorzugten Klasse. Darum sind sie so wütend -- weil wir ihnen die »Nuckelflasche« wegnehmen, an die sie sich so gewöhnt haben.

Macht sie das nicht zu besonders gefährlichen Gegnern?

Richtig. Wie ein schwer verletztes Tier im Todeskampf teilt die alte Elite in ihrer Verzweiflung harte Schläge aus. Im September 2008 gab es das Massaker von Pando, als oppositionelle Präfekturangestellte mindestens 18 MAS-Anhänger ermordeten. Vor drei Wochen wurde in der Tieflandregion Santa Cruz eine von der Opposition finanzierte Terroristenzelle ausgehoben, die Attentate auf Regierungsvertreter verübt hat und plante, den Präsidenten zu töten.

Und die Korruption in den eigenen Reihen?

Nach der Machtübernahme 2006 hat MAS viele Funktionäre in ihren Ämtern belassen, anstatt wie in Bolivien sonst üblich alle durch eigene Leute zu ersetzen. Leider arbeiten diese nicht im Interesse des bolivianischen Volkes, sondern gegen die Regierung. Im Fall des MAS-Mitbegründers Santos Ramírez, der die staatliche Energiefirma YPFB als deren Chef jüngst um Millionen betrogen hat, muss eines anerkannt werden: Evo Morales war persönlich enttäuscht. Aber er hat die ganze Härte des Gesetzes zur Geltung kommen lassen. Unsere Regierung deckt keine Korruption, egal welche Parteizugehörigkeit man hat. Ramírez sitzt daher jetzt im Gefängnis.

* Aus: Neues Deutschland, 12. Mai 2009


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