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Neue Zeiten in Bolivien

Bürgermeister unter Korruptionsverdacht müssen Posten räumen

Von Benjamin Beutler *

Boliviens Politiker müssen sich auf neue Zeiten einstellen. Am Mittwoch (18. Aug.) wurde der Bürgermeister von Potosí, René Joaquino, von den Stadträten seines Amtes enthoben. Der beliebte Bürgermeister der Stadt, deren 170000 Einwohner nach über zwei Wochen Generalstreik und Protesten zu Wochenbeginn wieder zum Alltag übergegangen waren, steht wegen des Verdachts illegalen Autohandels vor Gericht. Der seit 1997 regierende Aktivist der oppositionellen Sozialen Allianz (AS) soll in seiner ersten Amtszeit den Kauf geschmuggelter Autos genehmigt haben. Ihn trifft ein in diesem Jahr neu in Kraft getretenes Gesetz, wonach Bürgermeister oder Stadträte, gegen die ein Gerichtsverfahren läuft, »vorübergehend von der Ausübung ihrer Ämter suspendiert« werden. Erst nach einem Freispruch kann der Angeklagte ins politische Leben zurückkehren. Derzeit sind die Bürgermeister der Städte Quillacollo, Punata und Sucre ihrer Funktionen enthoben, die ebenfalls dem Oppositionslager angehören. Auch die regierungsfeindlichen Präfekten Rubén Costas (Santa Cruz), Ernesto Suárez (Beni) und Mario Cossío (Tarija) stehen kurz vor ihrer Amtsenthebung, weil sie für die illegalen Autonomie-Referenden 2008 öffentliche Gelder veruntreut haben sollen.

Nicht nur Joaquino vermutet deshalb politische Motive für die Untersuchungen. Die Regierung wolle »dem Volk mit Gerichtsverfahren den Mund verbieten, nicht mehr wie die Diktaturen mit Gewehren und Granaten«. Der Bürgermeister, den die Stadtversammlung mit den Stimmen der in La Paz regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS), aber auch denen seiner eigenen AS suspendierte, erklärte sich zu einem »Opfer politischer Verfolgung«, weil er »die Bürgerbewegung anführte, die Potosí mit ihren Forderungen 19 Tage lang stillgelegt hat«.

Die bolivianische Politik ist chronisch von Korruption, Amtsmißbrauch und Vetternwirtschaft befallen. Bei internationalen Korruptionsrankings wird dem Land regelmäßig ein Armutszeugnis in Sachen Transparenz ausgestellt. Für den Bürgermeister der Bergbaustadt ist es nicht das erste Mal, daß ihn der Skandal um die Autokäufe verfolgt. Schon im Januar 1998 strengte der regionale Rechnungshof von Potosí, damals unter Kontrolle der rechtskonservativen Banzer-Regierung, ein Verfahren gegen Joaquino an. Damals gingen die Bürgerkomitees auf die Barrikaden, ein Hungerstreik versenkte die Untersuchung im Aktenschrank.

Boliviens Präsident Evo Morales gründete gleich nach seinem Amtsantritt im Frühjahr 2006 das Ministerium für Korruptionsbekämpfung. Auch gegen die eigene Parteiprominenz wurde in diesem Zusammenhang schon vorgegangen. So hatte der MAS-Mitbegründer und Energieminister Santos Ramírez Bestechungsgelder angenommen und Staatsaufträge an ausländische Scheinfirmen verteilt. Seit Januar 2009 sitzt er deswegen im Gefängnis Chonchocoro, einem berüchtigten Hochsicherheitstrakt im rauhen Andenhochland. Doch selbst dort weht heute ein anderer Wind. Nach einem Überraschungsbesuch feuerte Innenminister Sacha Llorenti den Gefängnisdirektor und das Wachpersonal von Chonchocoro. Er hatte feststellen müssen, daß sich der zu lebenslanger Haft verurteilte Exdiktator Luis García Meza hinter Gittern ein Luxusappartement mit Sauna bauen lassen konnte.

* Aus: junge Welt, 21. August 2010


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