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Bürger gegen Krieg

In Bolivien formiert sich der Widerstand gegen Separatisten. Kontakte der Opposition in die USA

Von Harald Neuber *

Die sozialen und politischen Konflikte in Bolivien spitzen sich dramatisch zu. Während es im Hochland des Andenstaates in der vergangenen Woche zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Bergarbeitern kam, drohen Vertreter der reichen östlichen Provinzen unverhohlen mit dem Boykott der Verfassunggebenden Versammlung – und mit der territorialen Abspaltung. In Santa Cruz, Tarija, Panda und Beni konzentrieren sich aber nicht nur die Widerstände gegen Morales, sondern, und das ist der Grund für die Opposition, bis zu 70 Prozent der natürlichen Ressourcen.

Vorwand für den anhaltenden Boykott ist eine Abstimmung in der Verfassunggebende Versammlung am 29. September. Demnach hat das Gre­mium die »uneingeschränkte Befugnis«, eine neue Verfassung zu erarbeiten sowie den Auftrag, »den Übergang zu einem neue Bolivien« zu organisieren. Die führende Oppositionskraft »Podemos«, ein Bündnis kleinerer rechter Parteien und Organisationen unter Führung des Expräsidenten Jorge Quiroga Ramírez (2001–2002) konnte nur 31 Prozent der Stimmen gegen den Text mobilisieren.

Angesichts der Niederlage strickten die Anhänger Quirogas, der als Ziehsohn von Exdiktator Hugo Banzer gilt, an nützlichen Mythen. Weil der Passus nur mit absoluter Mehrheit verabschiedet worden sei, hätten sich die MAS-Abgeordneten über das Gesetz für eine Verfassunggebende Versammlung hinweggesetzt, sagte der Vorsitzende des »Bürgerkomitees Santa Cruz«, Germán Antelo, am vergangenen Montag: Notwendig wäre eine Zweidrittelmehrheit gewesen. Seine Gruppe werde daher gemeinsam mit den anderen »Bürgerkomitees« der östlichen Provinzen Tarija, Beni und Pando ein Referendum organisieren, um die Frage zu klären, ob die Bevölkerung dieser Landesteile mit einer »Neugründung« Bolivien einverstanden seien. Ein illegales Vorgehen, wie es aus La Paz heißt: Zum einen sei eine Zweidrittelmehrheit nur für die abschließende Abstimmung über den Verfassungstext notwendig. Zum anderen dürften die Oppositionsgruppen auch nach der geltenden Verfassung keine eigenen Referenden einberufen.

Vertreter der Regierung vermuten hinter dem Vorgehen eine wohl kalkulierte Eskalationsstrategie. Die Ankündigungen aus Santa Cruz seien die »Manöver derjenigen Kräfte, die einen Erfolg der Verfassunggebenden Versammlung um jeden Preis verhindern wollen«, sagte der MAS-Abgeordnete Antonio Peredo gegenüber der bolivianischen Nachrichtenagentur Bolpress. Die möglichen Folgen dieses Vorgehens zeigte eine Studie auf, die von der argentinischen Staatskanzlei in Auftrag gegeben wurde und der zufolge die Gefahr eines Bürgerkrieges in Bolivien massiv zugenommen hat. Auch wenn diese Prognose aus La Paz als Teil des Eskalationsplanes energisch zurückgewiesen wurde, ist die Gefahr nicht von der Hand zu weisen.

So berichteten verschiedene bolivianische Medien am vergangenen Donnerstag, daß hochrangige Politiker aus der Provinz Tarijas in der Woche gemeinsam in die USA gereist seien. An der Delegation teilgenommen hätten neben anderen die Expräsidenten Jaime Paz Zamora (1989–1993), Carlos Mesa (2003–2005) und der Präfekt von Tarijas, Mario Cossío. Die Regierung befürchtet nun, daß die Oppositionspolitiker von Washington politische Instruktionen zum Sturz der gewählten Regierung erhalten haben könnten.

Die Bereitschaft zum Kampf gegen Morales und die MAS ist in den USA wie bei der rechten Opposition in Bolivien vorhanden. Deutlich wurde dies während eines 24stündigen »Streiks« Anfang September, als bewaffnete Mitglieder der rechtsextremen Organisation »Nación Camba« in Santa Cruz das Büro des staatlichen Fernsehens und Unterkünfte kubanischer Ärzte angriffen, die im Rahmen eines humanitären Hilfsprogramms in Bolivien arbeiten.

Gewerkschaften und Bürgerorganisationen in anderen Teilen des Landes haben diese Attacken scharf verurteilt. Der Gewerkschaftsdachverband COB erklärte zudem, er werde »keine Spaltung des Landes zulassen«. Ähnlich äußerten sich die mächtigen Nachbarschaftsorganisationen im Hochland. Bei einer Rede vor indianischen Organisationen im Ort Omasuyos hatte Vizepräsident Álvaro García Linera seine Zuhörer unlängst aufgefordert, »diese Land und die revolutionäre Regierung mit Euren Händen, mit Steinen und wenn nötig mit dem Gewehr zu verteidigen«.

* Aus: junge Welt, 9. Oktober 2006

Verhandlungen in Bolivien

Bergbauarbeiter und Kooperativen schließen »sozialen Frieden«

Von Harald Neuber

Nach den blutigen Auseinandersetzungen um die weltweit größte Zinkmine im bolivianischen Hochlandort Huanuni in der vergangenen Woche haben sich die Konfliktparteien auf ein Abkommen für einen »sozialen Frieden« geeinigt. Der Vereinbarung zufolge sollen am heutigen Montag unter Moderation der katholischen Kirche und von Menschenrechtsorganisationen Verhandlungen zwischen den Arbeitern der staatlichen Bergbaugesellschaft Comibol und den lokalen, in Kooperativen organisierten Bergleuten beginnen. Präsident Evo Morales entließ am Wochenende den bisherigen Bergbauminister Wálter Villarroel und den Präsidenten der Comibol, Antonio Revollo.

An zwei Tagen in Folge waren an der Huanuni-Mine in den Anden rund viertausend in Kooperativen organisierte Bergarbeiter und Kumpels der staatlichen Bergbaugesellschaft Comibol im Streit um die begehrten Arbeitsplätze mit Waffen und Dynamitstangen aufeinander losgegangen. Dabei wurden 16 Menschen getötet und 61 weitere verletzt. Die Behörden entsandten am Freitag rund siebenhundert Polizisten, die die Kämpfe beendeten.

In der internationalen Presse wurden die Angriffe mehrheitlich als Konflikt zwischen Arbeitern der staatlichen Comibol und den lokalen Kooperativenarbeitern beschrieben. Letztere hätten sich gewehrt, weil sie vom Staat nicht angestellt würden. Bolivianische Medien stellten die Rolle der Bergbaukooperativen anders dar. Diese hätten in den achtziger Jahren nach der Pleite privater Minen gebildet und sich seither immer weiter in das Geschäft eingekauft. Im konkreten Fall hätten die Kooperativen die Aktien des britischen Bergbauunternehmens Allied Deals (RBG Ressources) erstanden, um die Mine in Huanuni zu übernehmen. Nach Auffassung der Regierung Morales sind diese Aktienpakete aber illegal, weil schon die Privatisierung der Mine unter Diktator Hugo Banzer nicht verfassungsgemäß gewesen sei. Die Konfliktlinie verlaufe daher nicht zwischen privilegierten und benachteiligten Kumpels, sondern, wie die bolivianische Nachrichtenagentur Bolpress schreibt, zwischen »Arbeitern« und »Kleinunternehmern«. Der Angriff auf die Mine sei erfolgt, weil letztere sich als legitime Besitzer der Schürfrechte sehen.

Um den Konflikt zu entschärfen, hat die Regierungspartei »Bewegung zum Sozialismus« (MAS) Ende der Woche einen Gesetzentwurf in das Parlament in La Paz eingebracht, der die Gründung einer gemeinsamen Minengesellschaft aus Kooperativenarbeitern und Angestellten der staatlichen Bergbaugesellschaft vorsieht. Doch das Interesse bei den lokalen Bergbauvereinigungen scheint gering. Es bleibt deswegen zu befürchten, daß auch in dieser Woche rund 700 Polizisten, die eilends in die Region entsandt wurden, wichtiger sein werden als die Konfliktschlichter von Kirche und Menschenrechtsorganisationen.

* Aus: junge Welt, 9. Oktober 2006




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