Evo Morales hält Kurs
Plebiszit über die neue Verfassung beendet formal die Neugründung
Von Benjamin Beutler *
4,1 Millionen Bolivianer sind am 25. Januar an die Urnen gerufen, um über die Annahme einer
neuen Verfassung zu entscheiden. Es gibt kaum Zweifel, dass der dritte Schritt der Neugründung
Boliviens erfolgreich verlaufen wird.
Evo Morales sieht sich kurz vor einem wichtigen Etappenziel: »Wir wollen eine große Mehrheit
erreichen für ein vereintes Bolivien mit Autonomien. Mit dieser neuen Verfassung werden wir die
letzte Etappe zur Neugründung Boliviens abschließen: für einen neuen Staat der Gleichheit und der
Perspektiven für alle Männer und Frauen«, erklärte Boliviens Präsident.
Morales befindet sich derzeit auf Werbetour für die neue Verfassung. Auf einer Veranstaltung im
östlichen Tiefland-Departamento Santa Cruz de la Sierra hob er die im neuen Grundgesetz
garantierte Dezentralisierung hervor. Die konservative Opposition unter Führung der
Gebietspräfekten von Santa Cruz, Tarija, Beni und Pando hatte sich die Autonomie-Forderung seit
dem Wahlsieg der regierenden Bewegung zum Sozialismus (MAS) 2006 auf die Fahnen
geschrieben, um den Rückhalt der MAS in der Bevölkerung aufzubrechen. »Sie lehnen eine
Verfassung ab, die mit 80 oder 85 Prozent aller Stimmen gewinnen wird«, verwies Morales auf die
große Zustimmung für das Projekt.
Im Gegensatz zur rechten Opposition, die ihre Massenveranstaltungen vor einer riesigen Christus-
Figur abhält, erläuterte Lateinamerikas erster indigener Staatspräsident die Vorzüge der neuen
Verfassung vor der stadtbekannten »Chiriguano-Statue«, dem bronzenen Abbild eines Guaraní-
Indigenen. »Zum ersten Mal in der bolivianischen Geschichte wird eine Verfassung, die unter
schwierigsten Bedingungen ausgearbeitet wurde, dem Volk zur Abstimmung vorgelegt«. Der im
Dezember 2007 vom Verfassungskonvent verabschiedete und im Oktober 2008 im
Nationalkongress modifizierte Verfassungstext garantiere unter anderem »die Menschenrechte, das
Recht auf Leben, anerkennt die Rechte der ursprünglichen Völker des Landes, schützt das
Privateigentum und sorgt für die Neuverteilung des Landes«, hob Morales den vereinenden
Charakter des neuen Grundgesetzes hervor.
Boliviens Präsident reagierte damit vor allem auf Vorwürfe der Opposition, die dem Land im Falle
der Inkraftsetzung düstere Zeiten voraussagt: Es werde keine Religionsfreiheit geben,
Privateigentum wie Fernseher, Häuser und Autos würden enteignet, Privatschulen würden
geschlossen werden, die Pressefreiheit beendet.
Bei der Verbreitung derartiger Fehlinformationen kann die Rechte weiterhin mit den dominierenden
Privatmedien rechnen. Erst vor kurzem trafen sich ausgerechnet die für den September-Putsch
verantwortlichen Tiefland-Präfekten zum »Gebet für den Frieden«. Beim damaligen »Massaker von
Pando« waren 18 MAS-Anhänger von Präfekturangestellten ermordet worden. Ein ranghoher
Bischof rief vor laufenden Kameras zur »Verteidigung des Glaubens« und zur Ablehnung der
Verfassung auf. Im Departamento Beni tauchten zudem tausende gefälschte Ausgaben der neuen
Verfassung auf.
Mit verstärktem Widerstand rechnet die MAS hingegen erst nach einem erfolgreichen Referendum.
Die Strategie gegen eine mögliche Blockade im Kongress gab Morales schon jetzt bekannt. Er
werde die »Stimme des bolivianischen Volkes per Präsidialdekret einführen«.
Dies entspreche ganz dem »Weg in den MAS-Totalitarismus«, die »Demokratie ist in Gefahr«
warnte daraufhin der ultrarechte Tiefland-Politiker Carlos Dabdoub, ehemaliger Präsident des
Unternehmerbundes Cainco.
Dass Bolivien meilenweit von einer Diktatur entfernt ist, zeigen Stimmen internationaler Beobachter.
So lobte die gleichnamige Stiftung des früheren USA-Präsidenten Jimmy Carter die Stärkung der
Demokratie: »In punkto Bürgerbeteiligung durchlebt Bolivien einen tief greifenden Prozess.« Auch
die EU-Kommission, die den Wahlgang mit über 50 Beobachtern überwachen wird, hob den
demokratischen Charakter der Abstimmung hervor. Am 25. Januar werde es keine Verlierer geben,
sagte EU-Missionschefin Renate Weber. Das bolivianische Volk als Ganzes sei der »große
Gewinner des Wahlkampfes um das Verfassungsreferendum«.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Januar 2009
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