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Lithium bietet Bolivien eine große Chance

Luis Alberto Echazú über die Industrialisierungspolitik der Morales-Regierung und Umweltprobleme *


Luis Alberto Echazú ist seit 2010 Direktor des Lithium-Programms der staatlichen Bergbaufirma COMIBOL. Der in Boliviens Hauptstadt Sucre geborene Metallurgieingenieur ist Mitglied in Boliviens Dachgewerkschaft COB und war Direktor der Universität Siglo XX. in der Bergbaustadt Lallagua/Oruro. Von 2007 bis 2010 war Echazú Bergbauminister im Kabinett der Linksregierung von Präsident Evo Morales. Mit ihm sprach für »nd« Benjamin Beutler.

Unter der harten Kruste des Salar de Uyuni im Andenhochland schlummern die größten Lithium- Vorkommen der Welt. Was hat La Paz damit vor?

Boliviens Regierung hat eine Strategie zur Industrialisierung des Lithiums aufgelegt. In einer ersten Phase hat die staatliche Bergbaufirma COMIBOL 19 Millionen USDollar in Forschung und Vorstudien investiert, alles mit bolivianischer Expertise. In einem Jahr wird die halbindustrielle Pilotanlage in Lipi im Departamento Oruro 40 Tonnen Lithiumcarbonat sowie 1000 Tonnen Kaliumchlorid für Dünger im Monat produzieren. Ein Nebenprodukt ist Speisesalz. Diese Produktion wird in einem zweiten Schritt auf industrielle Ebene gehoben, finanziert mit einem 485-Millionen-Dollar-Kredit der Nationalbank. Erwartet werden 200 000 Tonnen Kaliumchlorid und 30 000 Tonnen Lithiumcarbonat. Oberstes Ziel ist die Herstellung von Lithiumkathoden, Elektrolyten, und am Ende sogar Lithium-Ionen-Batterien »Made in Bolivia«. Lithium ist nur ein kleiner Bestandteil von Batterien, wir brauchen Know-how internationaler Partnerfirmen. Südkorea und Japan sind hier ganz vorne. Der Staat wird nochmal 400 Millionen US-Dollar investieren. So bauen wir eine eigene Industrie auf. Allen Unkenrufen zum Trotz liegen wir voll im Zeitplan.

In Deutschland werden Boliviens Pläne misstrauisch beäugt ...

Alles Lithium können wir gar nicht für Batterien verwenden. Deshalb wird der Überschuss exportiert. Große Lithium-Monopole, darunter die deutsche Chemetall aus Frankfurt, versuchen mit Preisdumping und Gerüchten unseren Markteintritt zu verhindern. Wir sind keine Träumer. Bei Batterien sind wir keine Konkurrenz, wir haben nur den regionalen Markt im Auge.

Immer wieder wird vor Umweltschäden durch Lithiumabbau gewarnt. Zu Recht?

Mich wundert die Unkenntnis. Das Projekt ist umweltfreundlich, keinerlei CO2-Emissionen. Der Boden wird nicht verschmutzt, die Salzkruste deckt alles ab. Die Anlage mit ihren Verdunstungsbecken für die Salzlake nimmt 20 Quadratkilometer in Anspruch. Der Salar de Uyuni ist über 10 000 Quadratkilometer groß, eine enorme Fläche. Das sind nur 0,2 Prozent. Dann haben wir noch den Salar de Coipasa mit 2200 Quadratkilometern. Sehen Sie den Tisch an dem wir sitzen. Lege ich hier einen Krümel hin, dann ist das die künftige Lithium- Abbauanlage. Also winzig ...

Wie steht es mit Chemikalien oder Trinkwasser-Problemen durch das Abpumpen der Salzlake?

Chemikalien kommen kaum zum Einsatz, Lithiumcarbonat entsteht durch Verdunstung mit Sonnenlicht. Nur unbrauchbare Sulfate werden in einem chemischen Prozess abgeschieden. Aber das ist nicht viel. Der Salar liegt in einer Talsenke. Und dieses Tal füllt sich immer wieder auf. Jedes Jahr gibt es in den Regenmonaten Überschwemmungen, was zurück in den Salar geht. Anteilsmäßig nehmen wir zehn raus, 50 geht wieder rein. Das ist anders als bei Lithium- Projekten in Chile. In der Atacama- Wüste wird seit 20 Jahren abgepumpt. Wegen anderer hydrologischer Bedingungen fließt dort sehr wenig Wasser nach.

Der Abbau von Rohstoffen in Bolivien boomt. In der Debatte ist von »Neo-Extraktivismus« die Rede, Bodenschätze finanzieren Sozialprogramme der Regierungen, die Umwelt verliert ...

Natürlich ist der Schutz der Umwelt wichtig, keine Frage. Doch darf das nicht auf Kosten der Armen passieren. Die Neo-Extraktivismus- Debatte ist absurd. Um eine Industrie aufzubauen, müssen zuerst Rohstoffe extrahiert werden. Länder wie Bolivien haben große Schwierigkeiten an Technologie zu kommen. Die brauchen wir aber dringend, um Bodenschätzen endlich einen Mehrwert hinzufügen zu können. Was sind die Alternativen? Sollen wir wieder Jäger und Sammler werden? Oder ohne Rohstoffabbau zurecht kommen und Bodenschätze selber importieren?

Der Extraktivismus beschreibt ein Wirtschaftsmodell, das auf den reinen Export von Rohstoffen setzt. Wie ist der Ansatz der Morales- Regierung?

Wir machen heute genau das Gegenteil. Wir wollen uns industrialisieren. Dafür braucht man aber die gesamte Wertschöpfungskette. In der Debatte um den Extraktivismus sehe ich einen ganz klaren Versuch, unsere Industrialisierungspolitik zu blockieren. Bolivien will eine unabhängige Entwicklung. Das soll verhindert werden. Wir sollen nicht wachsen, keine Sozialpolitiken haben, keine Straßen, keine Staudämme. Folgen für die Natur gibt es immer. Selbst der Mensch stößt CO2 aus. Deutschland hat auch viel Umwelt zerstört. Jetzt gibt es viel Geld für Umweltschutz. Dieselben Länder, die Bolivien ausgeplündert und massive ökologische Schäden verursacht haben, erklären sich heute zu strammen Verteidigern der Umwelt. Was die Regierung von Evo Morales in Bolivien oder von Rafael Correa in Ecuador in fünf Jahren in Sachen Industrialisierung geschafft haben, ist anderen in 100 Jahren nicht gelungen. Was wir nicht können, ist vom vorindustriellen direkt ins nachindustrielle Zeitalter zu springen. Das ist unmöglich.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 23. April 2013


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