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Morales trotzt den Multis

Erdgasnationalisierung in Bolivien

Von Gerhard Dilger, Porto Alegre *

Bolivien hat sich fristgerecht mit zehn ausländischen Energiefirmen auf neue Verträge zur Erdgas- und Erdölförderung geeinigt. Mit der Unterzeichnung der Abkommen am Wochenende erzielte Präsident Evo Morales bei der Umsetzung seines wichtigsten Wahlversprechens, der Erdgasnationalisierung, einen Durchbruch.

»Das ist eine historische Nacht, weil wir die Nationalisierung der Bodenschätze gesichert haben«, erklärte Präsident Morales am Wochenende. Auf den Straßen von La Paz feierten Tausende. Die Multis, darunter British Gas, Total (Frankreich), Repsol (Spanien) und der brasilianische Staatsbetrieb Petrobras, verpflichten sich, ihre Fördermengen künftig der staatlichen Gesellschaft Yacimientos Petrolíferos Fiscales Bolivianos (YPFB) zur Vermarktung zu überlassen. Ihre Abgaben steigen von 50 auf bis zu 82 Prozent des Wertes der Förderung. Die jährlichen Staatseinnahmen würden nach der Neuordnung des Sektors über eine Milliarde US-Dollar betragen, kündigte Morales an, vier Mal so viel wie vor zwei Jahren. Die Konzerne forderte er auf, sich an Projekten zur Verarbeitung der Rohstoffe in Bolivien zu beteiligen.

Die neuen Rahmenbedingungen garantierten die weitere Präsenz von Petrobras in Bolivien, sagte der brasilianische Energieminister Silas Rondeau. In Brasilien hatten konservative Politiker und zahlreiche Medien Präsident Lula vorgeworfen, er sei gegenüber Bolivien zu nachgiebig. Mit Blick auf die Präsidentenwahl am Sonntag hatte Petrobras öffentlichkeitswirksam mit dem Rückzug aus Bolivien gedroht und zuletzt darauf gedrängt, die Unterzeichnung der Abkommen zu verschieben. Brasilien ist der wichtigste Abnehmer des bolivianischen Erdgases.

Die Verträge stellten die Rechtssicherheit für Investoren wieder her, sagte der spanische Außenstaatssekretär Bernardino León. In den kommenden Jahren werde Repsol in Bolivien rund eine Milliarde US-Dollar investieren, so León. Bereits am Freitag hatte Total Neuinvestitionen in Höhe von 1,9 Milliarden Dollar angekündigt.

Die Erdgas- und Erdölnationalisierung in Bolivien bedeutet weder eine völlige Verstaatlichung des Energiesektors, noch werden die Konzerne dabei enteignet. Nach einer weit gehenden Privatisierung im Jahr 1997 erlangt das Andenland jedoch die Kontrolle über seine Ressourcen zurück, die ausländischen Konzerne werden zu Dienstleistern. Bolivien, eines der ärmsten Länder der Region, verfügt nach Venezuela über die zweitgrößten Erdgasvorkommen Südamerikas.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Oktober 2006


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